Kompromiss über „Volle Halbtagsschule“?

■ Auch Sonderschulen wären betroffen von Kürzung der „Vollen Halbtagsschulen“ / Heute trifft Lemke die 14 Schulleitungen / Behörde verlor vor Verwaltungsgericht

Heute sind die Schulleitungen der 14 „vollen Halbtagsschulen“ Bremens zu Bildungssenator Willi Lemke bestellt. Die Schulen erwarten, dass sie nun endlich Klarheit darüber bekommen, mit welchen Mitteln sie für das kommende Schuljahr planen können. Gerüchte über einen „Kompromiss“ kursieren, nach dem den „Vollen Halbtagsschulen“ die Hälfte ihrer Sonderzuweisung an Lehrern bzw. Lehrerstunden für das Schuljahr 2000/2001 garantiert werden sollen.

Gestern Nachmittag tagten Fachausschüsse der GEW, um ein Problem der Abschaffung der vollen Halbtagsschulen zu beraten, das bisher kaum öffentliche Beachtung gefunden hat: Seit einem Jahr gibt es in Bremen keine staatlichen „Sonderschulen“ mehr, Sonderschüler sollen in normale Grundschulklassen integriert werden. Pro anerkanntem Sonderschüler gibt es dafür aber nur ein Kontingent von 2,6 Lehrer-Wochen-Stunden aus dem Pool der Sonderschullehrer („Förderzentrum“).

Das bedeutet, dass ein Grundschullehrer mit vier lern-, sprach-, oder entwicklungsgestörten „Sonderschülern“ in der Klasse mindestens die Hälfte der Stunden allein dasitzt. Für die sonderpädagogischen Kräfte gibt es keine Vertretung, wenn mal jemand krank ist. An vielen Grundschulen ist der magere Schlüssel von 2,6 Förderstunden noch weiter gekürzt worden – „das ist eine Katastrophe“, sagte auf der GEW-Sitzung eine betroffene Lehrerin. Eine andere beschrieb ihre Arbeit als „Kofferpädagogik“: 15 Stunden habe sie für vier Klassen, eine Klasse habe gerade ihre „Restarbeitszeit“ von 20 Minuten in der Woche. Eine kontinuierliche Beziehung, die gerade für die förderbedürftigen Kinder notwendig ist, sei da nicht mehr möglich. Die Sonderschul-Kräfte aus den Förderzentren sind daher völlig unzufrieden mit ihrer Arbeit, und in den Grundschulen nimmt der „Unmut“ gegen das Integrationsmodell zu: Die Sonderschulkinder schaffen zusätzliche Probleme, mit denen die Schulen allein gelassen werden.

Nicht ganz so schwierig war es bisher an den vollen Halbtagsschulen, weil die auch unabhängig von den Sonderpädagogen mehr Lehrerstunden für Kleingruppen-Arbeit zur Verfügung hatten. Die Streichung der Sonder-Stunden für die vollen Halbtagsschulen „gefährdet die Integration benachteiligter Kinder“, hatten Sonderschullehrer aus Förderzentren schon vor Wochen protestiert.

Auch nach dem bisherigen Modell gab es schon „Grenzfälle“ von Kindern, über die es zum Konflikt zwischen Grundschule und Behörde kam: Die Grundschule hatte erklärt, sie könnte den Kinder nicht die angemessene Hilfe bereitstellen, weil nicht genügend Lehrerstunden für kleine Klassen zur Verfügung stünden. Die Behörde insistierte aber auf dem Grundsatz der Integration.

In dem Fall des Mädchens Yvonne B. landete der Streit vor dem Verwaltungsgericht. Die Mutter hatte das Mädchen kurzerhand auf die private Tobias-Schule geschickt und beim Sozialamt die Übernahme der Fahrt- und Schulkosten beantragt. Die Sozialbehörde weigerte sich, zu zahlen, die Mutter ging vors Verwaltungsgericht. Rechtsanwalt Westerholt argumentierte vor Gericht, die Bildungsbehörde habe nicht darlegen können, wie die Förderung von Yvonne B. in einer staatlichen Schule erfolgen solle. Das Verwaltungsgericht schloss sich der Argumentation an und verdonnerte das Sozialamt, für die Schulkosten aufzukommen. Werden die vollen Halbtagsschulen abgebaut, könnten sich solche Urteile häufen.

K.W.