Nach Zugunglück Chaos auf den Bahnhöfen

Fernzüge enden vorzeitig. Reisende müssen unvorbereitet auf die S-Bahn umsteigen

„Reisende Richtung Warschau fahren mit der S-Bahn auf Gleis 5 nach Lichtenberg.“ Die dritte Wiederholung der Durchsage verliert sich in der großen Halle des Bahnhofs Zoo. Verwirrt bleiben die Fahrgäste, die den Sinn der genuschelten Worte nicht verstehen konnten, auf dem Bahnsteig zurück.

Entweder sind sie keine routinierten Leidtragenden des Berliner Pendelverkehrs, die gelernt haben, auch übersteuerte Durchsagen zu entschlüsseln, oder sie sind des Deutschen nicht besonders gut mächtig. Ansagen auf Englisch werden grundsätzlich nicht gemacht, Hinweisschilder gibt es auf dem Bahnsteig nicht.

Während die Schlange der Reisenden vor dem Service Point immer länger wird, springt ein polnisches Ehepaar in den stillstehenden ICE, den sie für den Zug nach Warschau hält. Ein Bahnbeamter versucht den beiden klarzumachen, dass sie mit der S-Bahn nach Lichtenberg müssen, um dort in ihren Zug zu steigen. Doch das wird knapp, die Abfahrt des Warschau-Express ist in einer halben Stunde. Der nächste fährt erst drei Stunden später.

Einen Tag nachdem das neueste Modell des ICE am Lehrter Bahnhof entgleist ist, hat die Deutsche Bahn die Fahrgastbetreuung nicht zufriedenstellend im Griff. In den Bahnhofsvorhallen ist zwar auf roten Plakaten beschrieben, dass die Fernzüge in Spandau, Zoo und Lichtenberg enden und die Regionalzüge auf verschiedenen Bahnhöfen am Stadtrand. Doch die auf dem Bahnsteig aussteigenden Reisenden werden meistens allein gelassen. Zusätzliches Personal wurde zwar eingesetzt, ist aber überwiegend auf den S-Bahnsteigen zu sehen.

Die Ursache für die Zugentgleisung ist noch nicht geklärt. Die Ursachenforschung konzentriere sich auf den Zug, sagte DB-Sprecherin Marlene Schwarz. Nach der bisherigen Prüfung sei am Schienenweg nichts zu erkennen. Der neue ICE-T war am Mittwoch auf einem unsanierten Abschnitt der Stadtbahn entgleist, der ab 2001 durch die neue Trasse zum neuen Lehrter Bahnhof überflüssig werden soll. Die Bahn hat alle ICE-Züge, die wie das entgleiste Modell mit der neuen Neigetechnik ausgestattet sind, bis zur Klärung der Ursache aus dem Verkehr gezogen. Reisende können sich über die kostenlose Hotline-Nummer 01 30/73 95 59 über die Änderungen im Nah- und Fernverkehr informieren.

Als kleine Entschädigung bietet die Bahn den Gepäckträger-Service am Bahnhof Zoo jetzt kostenfrei an. Ab Montagmorgen sollen die Fernzüge voraussichtlich wieder im normalen Betrieb über die Stadtbahn rollen. Vorsichtshalber ist auf den Hinweisschildern von einer technischen Störung „bis auf weiteres“ die Rede. Silvia Lange