: Fliegenfänger von Kärnten
Mao-Verse als Politkommentar: Der Münchner Maler Yongbo Zhao fertigte für die Ausstellung „Sensation Figuration“ in Wien ein Haider-Porträt ■ Von Bernd Hein
Aus Wien hat er sich erst mal verabschiedet. Trotzdem ist das Herrscherbildnis für Jörg Haider schon vorbereitet. Yongbo Zhao hat das Porträt in seinem Atelier in der ehemaligen „Funk-Kaserne“ an der Münchner Domagkstraße gemalt. Heute um 19 Uhr wird die Ausstellung „Sensation Figuration“ in der „Alten Schieberkammer“ der Wiener Wasserwerke eröffnet, und dann darf das Publikum vor dem Gesicht des kärntischen Landeshauptmanns stehen, in Öl und mehr als drei Quadratmeter groß.
Die sanften Augen Haiders blicken braun in die Ferne. Der Hals steckt in einem Kragen der chinesischen Volksarmee, ist verletzbar lang ausgestreckt und verwandelt den Schädel in eine Trophäe. Aus dem Hinterkopf wachsen Hörner, sie schwingen über den Ohren nach vorn. Ein Lächeln öffnet die Lippen des Parteiführers, goldene Zähne blitzen. Rechts, wo das Hirn sitzt, schwärt ein Fleck faules Fleisch. Ein Fliegenpaar hat sich bei dem Saft auf der Stirn niedergelassen. Die Fliegen ficken.
„Die Chinesen sagen: Wenn die Stirn nicht in Ordnung ist, geht der Mensch in die falsche Richtung“, sagt Yongbo Zhao. Er stammt aus Hailong, einem kleinen Ort der Provinz Jilin in der Volksrepublik China. Von seinen 35 Jahren hat er neun in Deutschland verbracht.
Seine Mutter packte Essen für einen Monat ein, als der Sohn ihr den Fahrschein für die Transsibirische Eisenbahn zeigte. Damals war er Dozent an der Pädagogischen Universität Nordost-China in Changchun, seine Mao-Porträts und Stillleben gewannen Preise in Peking und in der Provinz. Er sollte den Studenten europäische Malerei beibringen und hatte bislang Rubens, Rembrandt und Dürer doch nur in Büchern gesehen. „Ich bin doch jung, ich muss noch etwas lernen“, sagte Yongbo Zhao. Er schickte eine Mappe an Robin Page, einen Professor an der Münchner Kunstakademie. „Ich mag seine Bilder nicht, aber er kann malen“, sagte Page. Als Zhao nach zehn Tagen aus dem Zug stieg, hatte er Kunstbücher für 200 Rubel bei sich und in den Augen ein Staunen.
Drei Jahre lang machte er keinen Strich, er wanderte durch die Museen und sättigte sich an den Meistern. Dann zwang ihn der Professor an die Staffelei. Zhao gehorchte. Er hatte sein Thema gefunden. Ein Diptychon entstand. „Mao und Ophelia“ von 1994 zeigte den Besuchern der „Großen Münchner Kunstausstellung“ zwei Wasserleichen. Unter einem Berg rosafarbener Rosenblüten hebt der vergilbte Große Vorsitzende grüßend die Hand, aus Ophelias Schoß wächst eine langstielige Rose. Yongbo Zhao wurde Meisterschüler. Im Januar ’96 gründete er mit Robin Page und Erich Gohl die Künstlergruppe „Neue Helden“. „Unerträglich für Wohnzimmerwände, gehören die Bilder hinter den Stacheldraht der Museen großer, heroischer Sinnesschlachten“, schrieben sie in ihr Manifest. Yongbo Zhao weiß, wie es mit der Kunst im kommenden Jahrtausend weitergehen muss. „Schluss mit der Spielerei“, ruft er seinen Kollegen entgegen, der expressiv ausgegossene Farbkübel sei in den 50er-Jahren vielleicht noch ein Tabubruch gewesen. „Die Zeit ist vorbei, Kunst soll wieder Handwerk sein“, sagt Zhao. Er verbietet seinem Pinsel jede Nachlässigkeit, benutzt ihn in der Art der Renaissance. Die Idylle zerbricht nicht an der Technik, sie wird von der Aussage der Bilder zerbrochen. Zhao hat eine Porträtreihe gemalt, fünfmal die „Revolutionäre Familie“. Er setzte sich, Vater, Mutter, Schwester und Bruder Schafsköpfe auf. Ihre Mäuler sind aufgerissen, weit und verwundbar. So reagiert ein Maler auf die Heimat, in der Sprache zu Befehlen verkommen ist, und die Menschen wie Herdentiere gehalten sind: das Schaf, Opfer und Held zugleich.
„Ein gutes Bild muss immer Politik sein“, sagt Yongbo Zhao. Als er die Einladung zu der Ausstellung in Wien erhielt, marterte er seinen Kopf, um die Idee für ein Haider-Porträt zu fassen. „Eine zurückgezogene Faust wirkt stärker als eine ausgestreckte. Sollte ich Jörg wie Hitler malen, mit aufgerissenem Mund und borstigem Bärtchen?“ Zhao antwortet: „Jörg ist nicht Adolf, er ist ein schöner junger Mann, faszinierend. Wenn ich ihn einmal treffe, werde ich ihm sagen: Jörg, du bist ein großer Künstler. Aber du musst die Politik sein lassen. Das ist zu gefährlich.“
Fast schüchtern lächelt Jörg Haider jetzt auf Zhaos Leinwand, der Kopf ist eine Spur geneigt, die goldene Bordüre fasst das Porträt zu einem riesigen ovalen Medaillon zusammen. Der Hintergrund erhielt ein Blau, die Farbe von Haiders FPÖ. In die Ecken kalligrafierte Yongbo Zhao einen leicht abgewandelten Vers aus den Gedichten von Mao Tse-tung: „Die österreichischen Söhne und Töchter haben eine besondere Art.“ Mao hatte von seinen chinesischen Landeskindern gesprochen. „Damals habe ich gegen den chinesischen Nationalismus gemalt, gegen Jörg kann ich dieselben Waffen genauso stark benutzen“, sagt Zhao. Im Wiener Wasserwerk wird Haider von zwei schreienden Schafen eingerahmt sein. Rechts und links, in der gleichen Größe und mit dem gleichen Titel: „Leithammel“.
„Sensation – Figuration“, mit Ulrich Gansert, Nicolas de Maya Sanchez, Erika Seywald, Yongbo Zhao, u. a., bis 17. 3., Alte Schieberkammer der Wiener Wasserwerke.
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