Zwischen den Rillen
: Psychogrammatiker

Gefühle von gestern, neu dekliniert: Warren Zevon und Steely Dan

Wer die These widerlegen will, in den 70er-Jahren sei die Rockmusik den Bach runtergegangen wie einst das Gemeinwesen im alten Rom, landet schnell bei Warren Zevon und Steely Dan, die der Misere – jeder auf seine Art – bravourös trotzten. Bevor sie selbst Teil des Problems wurden und lange beziehungsweise immer öfter schwiegen.

Zevon machte damals Randy Newman den Thron des zynischsten Songschmieds der westlichen Welt streitig, etwa, indem er 1978 einen Killer besang, der zum Grab der Gemeuchelten pilgert, um sich einen Käfig aus Knochen zu basteln. Die Musik dazu lieferte eine saturierte Westcoast-Mafia aus dem Umfeld der Eagles und Fleetwood Mac. Was die Chose nur umso perfider machte. Dann kam der Wodka, das Comeback („Sentimental Hygiene“), der Flirt mit dem Cyberpunk-Zeitgeist („Transverse City“), die Selbstkarikatur als „Mr. Bad Example“, bevor der Sohn eines Profizockers in den 90ern auf Nebenschauplätze entschwand. Der anhaltenden Protektion seines Freundes Jackson Browne hat es Zevon zu verdanken, dass er jetzt überhaupt noch mal bei einem Plattenmulti veröffentlicht wird – dicke Marketing-Etats spendiert dort aber keiner mehr.

Auf „Life’ll Kill Ya“ frönt Zevon in kleiner Triobesetzung einem mal gewohnt galligen, mal überraschend verletzlichen Folk(-Rock). „I can saw a woman in two, but you won’t want to look in the box when I do“, singt er mit weltmüder Verschlagenheit in „For My Next Trick I’ll Need A Volunteer“, wohl wissend, dass wir nur zu gern freiwillig hinabschauen wollen in existenzielle Abgründe (solange es nicht die eigenen sind). Ja, sein Humor ist intakt, immer noch tiefschwarz und bitter, aber darunter schillert doch auch ein wahrer Menschenfreund. Und „Hostage-O“ ist wohl das traurigste S & M-Stück bisher, frei von Voyeurismus wie moralischer Keule, wenn Zevon singt: „You can treat me like a dog, if you make me feel what others feel ...“

Was Steely Dan wirklich fühlten, blieb immer schön nebulös. Ein eher bewunderter denn geliebter Fremdkörper waren sie in den frühen 70ern, die Studiogeburt zweier ambitionierter Songwriter, fern der gängigen Gründungslegende verschwitzter Bühneninitiation. Dafür wurde die Studioarbeit von Donald Fagen und Walter Becker zum Maß vieler Dinge. Aus heutiger Sicht fast unvorstellbar, dass Alben wie das sogar für aufgeschlossene Ohren eher kryptische Spätwerk „Aja“ noch für Platin-Verkäufe gut waren, von frühen Top-40-Hits („Do It Again“, „Ricki Don’t Lose That Number“) zu schweigen.

Später fielen sie ihrem kühlen Perfektionismus zum Opfer. „Gaucho“ verschlang eine Million Dollar Produktionskosten, 1979 (!). Dass die „Grateful Dead mit bösen Vibrationen“ (so US-Kritiker Robert Christgau) ihre Rückkehr Mitte der 90er ausgerechnet mit Konzerten einläuteten, ist von seltsamer Ironie, bedenkt man, dass sich ihre Live-Darbietungen in den 70ern den Vorwurf gefallen lassen mussten, sie könnten die Finesse der Studiovorlagen nicht reproduzieren.

„Two Against Nature“, nach 20 (!) Jahren und einigen Soloversuchen ihr erstes gemeinsames Studioalbum, kokettiert schon im Titel mit dem alten Image der intellektuellen Anti-Authentizitäts-Strategen. Musikalisch indes klingt das um allerlei Session-Asse verstärkte Duo heute gleich zum Auftakt merkwürdig naturbelassen: Ein Bass knurrt, eine Gitarre schlägt zickige Funk-Haken, der Drummer kapriolt auf der Hi-Hat, bevor er in einen satten, doch cleanen Groove verfällt. Die Zeit scheint eingefroren: Elegant verschobene Melodiebögen, Fagens perlendes Fender-Rhodes-Piano, jazznahe Akkordfolgen, ebenso perfekt wie linkisch platzierte Bläser – alles tönt wieder cool, calm & collected, kein Hauch Zeitgeist weht durch die verschwenderische, teils ausschweifende Nonchalance dieser neun neuen Songs. Dass die Plattenfirma sogar eine Single auskoppelt, erscheint angesichts der aktuellen Radiolandschaft fast absurd. Und das weniger, weil es in „Cousin Dupree“ um Inzest geht. „What’s so strange about a down-home family romance?“ wandelt Fagen als gescheiterter Musiker schwül auf den Spuren der Ex-Sandkastenromanze Janine, die jetzt Lolita darstellt. Psychogramme trauriger Existenzen, die ihre Vergangenheit einholt, überall. In „What A Shame About Me“ ist der gescheiterte Romancier gerade aus der Reha – und noch zu schwach für einen One-afternoon-stand mit der alten Schulliebe, so „delicious“ sie aussehen mag. „You’re talking to a ghost“, barmt der verhinderte Mann.

Frauen sind in der unwirklichen Steely-Dan-Welt mysteriöse, abgebrühte Luxuswesen, auch eine Projektionsfläche nostalgischer Fantasien. „You be the showgirl and I’ll be Sinatra, way back in 59“, heißt es in der sanften Ode an „Janie Runaway“, die zum „wonderwaif of Gramercy Park“ aufgestiegen ist. Andere sind einfach „Almost Gothic“ (Songtitel) oder gleich ein „Negative Girl“ – unerreichbar, doch unerschöpflich.

Mit geübter Handarbeit purzeln Steely Dan so noch einmal durch alle Zeiten, schweben gleichsam erlesen geschmackvoll darüber. Darin liegt eine Stärke dieser Musik – aber wohl auch ihre größte Schwäche. Denn dann und wann und zuletzt immer öfter überkommt einen doch dieses Gefühl, das Fagen und Becker im lässig ausfransenden „West Of Hollywood“ gewohnt eloquent besingen: „I’m way deep into nothing special ...“ Jörg Feyer

Warren Zevon: „Life’ll Kill Ya“ (Artemis/Epic)

Steely Dan: „Two Against Nature“ (Giant/BMG)