Jubel und Entsetzen in Pinochets Heimatland

Chile feiert, Chile trauert: Auch nach der Rückkehr könnte Pinochet verurteilt werden

Wird am Flughafen in Santiago wirklich eine Soldatenkapelle „Lilli Marleen“ spielen? Wenn ja, an welchem Flughafen? Und wohin geht es von dort aus weiter für den Heimkehrer Augusto Pinochet? Ins Militärkrankenhaus der Hauptstadt oder gleich in sein Haus an der Küste in Valparaiso? In Santiago herrschte gestern großes Durcheinander. Die Verantwortlichen gaben sich zugeknöpft. Die Logistik für die Rückkehr Pinochets lag in den Händen der Armee, die ihn auch mit einer veralteten Boeing 707 nach Hause flog.

In Santiago war es kurz nach fünf Uhr morgens, als in der Villa der Pinochet-Stiftung Anhänger des Ex-Diktators gebannt auf den Fernseher starren: „Habe ich entschieden, dass Pinochet ... nicht nach Spanien ausgeliefert wird“, übersetzte die Reporterin in London den Text des britischen Innenministers Jack Straw. Und dann ging es wieder los: „Viva Chile, Viva Pinochet!“, brüllten die zu hunderten gekommenen Anhänger des ehemaligen Diktators. Schnell wurde ein Transparent entrollt: „Bienvenido mi General!“ – Herzlich Willkommen, mein General!“ Nie zuvor hat der Chef des Soldatenfanclubs, der ehemalige General Luis Cortes Villa, so gestrahlt wie in diesem Moment. Mehrere Male schon musste er negative Entscheidungen aus London kommentieren, und immer sagte er: „Aber wir verlieren die Hoffnung nicht.“

Anderthalb Stunden hoffen auf Belgien und Frankreich

Noch lauter wurde es um viertel vor sieben. Ein weiterer Reporter in London brüllte in die Live-Schaltung des chilenischen Fernsehens hinein: „In diesem Moment verlässt Pinochet sein Haus in einer Wagenkolonne, seine Stunden in London sind gezählt.“

Dieser Satz sorgte bei der Organisation der Angehörigen der Diktaturopfer in Santiago für große Enttäuschung. Anderthalb Stunden lang klammerten sie sich an die Hoffnung, die belgische Regierung werde gegen die Entscheidung Straws Berufung einlegen. Dann machte das Gerücht die Runde, auch Frankreich werde gegen die Entscheidung vorgehen. Dann plötzlich meldete der Nachrichtensprecher, der spanische Richter Baltasar Garzón habe per Fax gegen die Freilassung Pinochets Widerspruch eingelegt. Schnell war auch dieser Hoffnungsschimmer verflogen. Nur Staaten, so belehrte das Fernsehen, könnten die Ausreise Pinochets noch stoppen.

Nie haben chilenische Menschenrechtler mehr erreicht

Mit zitternder Stimme trat die Präsidentin der Angehörigenorganisation, Viviana Díaz, vor die Kameras. „Diese Entscheidung ist keine Niederlage für uns. Die vergangenen 503 Tage, in denen Pinochet in London unter Arrest stand, waren unsere erfolgreichste Zeit“, sagte sie. Niemals hatten die chilenischen Menschenrechtsgruppen mehr erreicht. Auf einmal wurde ihnen auch von der chilenischen Gesellschaft signalisiert, dass sie im Recht waren.

Vor Pinochets Festnahme in London war es undenkbar gewesen, dass jemand auf der Straße in Santiago den ehemaligen Diktator als Mörder bezeichnet hätte. Auf einmal wurde von den 3.000 unter Pinochet ermordeten Regimegegnern gesprochen. Aber es blieb bei einem Schock für Pinochet. Die chilenischen Menschenrechtler haben nie den Gerichten im eigenen Land vertraut. Jetzt sind sie die letzte Möglichkeit. „Wir werden Druck machen, dass die Regierung ihr vor der Welt gemachtes Versprechen einhält und Pinochet den Prozess in Chile macht.“ Einfach ist das nicht, da Pinochet als Senator auf Lebenszeit Immunität vor juristischer Verfolgung genießt. Trotzdem ließ der frisch gewählte chilenische Präsident Ricardo Lagos in einer ersten Reaktion verlauten, dass er versuchen will, Pinochet in Chile vor Gericht zu stellen. Lagos ist der erste sozialistische Präsident Chiles seit Salvador Allende, der 1973 von Pinochet aus dem Amt geputscht wurde.

In der chilenischen Militärmaschine, die Pinochet nach Chile zurückholte, saß auch sein Rechtsanwalt. So war der 84-Jährige in guten Händen, falls es unterwegs zu einem juristischen Zwischenfall kommen sollte. Da die veraltete Maschine nur eine Reichweite von zehn Stunden hat, muss Pinochet in der Karibik zum Tanken zwischenlanden. Ingo Malcher