■ H.G. Hollein: Plaza-Blues
Die Frau, mit der ich lebe, hält den Daumen auf unsere Haushaltskasse. Deshalb ereilt mich bisweilen der kategorische Befehl: „Gehe hin und jage Schnäppchen.“ So fand ich mich denn unlängst in einem rotvergitterten Käfig namens „Einkaufswagensammelstelle“ wieder, der das einladende Entree des Wal Mart-„Supercenters“ an der Feldstraße flankiert, und überließ mich der weihevollen Atmosphäre von Hamburgs neuestem Tempel des Low-Budget-Konsums. Drin bot sich auch gleich ein Posten schwarzer Damenslips zu „0,97“ Was-auch-immer das Stück meinem begehrlichen Zugriff dar. 98 Prozent Polyamid und 2 Prozent Elastin – da kann man nicht meckern. Auch den Herren-Blouson „Urban Style“ zu 79,79 fand ich durchaus ansprechend. Ähnlich weltläufigen Chic und „funktionale Eleganz“ habe ich zuletzt anno 89 an den Vopos am Grenzübergang Gudow/Zarrenthin gesehen. Etwas länger verweilte ich vor einer Doppelreihe Fernseher. In denen demonstrierten zwei Mädels im Bikini und ein kinnbärtiger Typ mit eckiger Sonnenbrille, der verdächtig aussah wie ein taz-Kulturredakteur, der sich ein kleines Zubrot verdient, den „Kraftstick 400 XL“ und – wenn ihnen das langweilig wurde – das Zubereiten von Möhren in einer Mikrowelle. Ansprechend fand ich auch die hanseatische Zurückhaltung, mit der die dünn gesäten Bediensteten die amerikanisch-dynamische Service-Ideologie des Konzerns zu unterlaufen wussten: „Klopapier is' hinter den Lippenstiften links.“ Eine gewisse nostalgische Wehmut erfasste mich an der Stelle, wo dereinst – als Wal Mart noch Plaza hieß – „Käse-Eddi“ hinter seinem rollbaren Tresen stand und lustvoll seine Gouda-Räder zersäbelte. Tempi passati ... Trotzdem schied ich einigermaßen versöhnt. Immerhin weist die Firmenadresse als Sitz der deutschen Zentrale des Wal Mart-Konzerns die Wuppertaler Friedrich-Engels-Allee aus.
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