Bescheiden, still und unscheinbar

■ Vom schwierigen Leben der Schriftstellerinnen Claudine und Dora Staack

Wer kurz nach der Jahrhundertwende aufmerksam die Hamburger Nachrichten studierte, stieß in der Literarturbeilage immer wieder auf zwei Namen: Dora und Claudine Staack. Sensibel, leise, unprätentiös lasen sich die zumeist kürzeren Erzählungen und Novellen der Schwestern; Dora lieferte dazu auch oft Rezensionen. Bescheiden, still, unscheinbar: So muss man sich wohl die beiden Verfasserinnen vorstellen – zwei Schriftstellerinnen, die zu keinem Empfang eingeladen wurden, nicht an den intellektuellen Zirkeln teilhatten oder zur Kulturprominenz zählten. Und deren Leben in großer Armut tragisch endete.

Irgendwie, irgendwann waren sie in Hamburg gelandet – die biografischen Stationen der Staacks sind nur sehr lückenhaft bekannt. Dora – 1855 in Krumstedt – und Claudine – 1859 in Süderheistedt geboren – wuchsen an verschiedenen Orten Dithmarschens und der norddeutschen Provinz auf; der Vater baute Straßen und Eisenbahnen, die Familie zog mit. Statt einer Berufsausbildung bekamen die Töchter offenbar viel Kultur und Bildung vermittelt. Claudine – später auch als Malerin aktiv – verbrachte sogar eine Zeit in Paris. Geheiratet haben beide nicht.

Mit 40 Jahren, 1895, begann Dora zu schreiben und gewann im Folgejahr das literarische Preisausschreiben der Neuen Hamburger Zeitung. Und bald erschloss sie sich mit Erzählungen und Novellen auch zu anderen zeitgenössischen Blättern Zugang, lieferte Essays und Buchkritiken. Das bescheidene Zeilengeld musste schließlich den Fortfall der bisherigen wirtschaftlichen Basis ausgleichen – nach dem Tod des Vaters waren Dora und Claudine auf sich allein gestellt.

Schreiben, um zu überleben: Das vornehme und gebildete Hamburg las zwar die Geschichten, wusste aber nichts von den beiden Frauen, die in großer materieller Enge in einer kleinen Eppendorfer Mietwohnung ihr Dasein fristeten.

In ihren Texten – Claudine fing erst 1905 zu schreiben an – entwarfen sie sorglosere Menschen, projizierten ihre Träume auf Frauen, die in der Provinz auslebten, was ihnen verwehrt war: sich verlieben, glücklich sein, Geborgenheit finden. Doras Novellen, urteilte ein zeitgenössischer Kritiker, waren lyrisch, Claudine erzählte dramatischer. 1906 vermittelte der Schriftsteller Timm Kröger ihnen einen Verlag: „Melodien der Liebe“ nannte Dora ihre Sammlung, Claudines Buch hieß „Gewitter“. Kröger schrieb für beide ein gleichlautendes Vorwort, passend zur symbiotischen Lebensweise der unzertrennlichen Schwestern.

Die Bücher blieben erfolglos, die Not wuchs. Das Schreiben, so kann man vermuten, wurde zum letzten Draht in die Welt, ermöglichte Kontakt mit Redaktionen, mit Literaten. Tiefe Bescheidenheit, Hingabe, Pflege der Kultur – ja, so sollten Frauen im späten Kaiserreich sein, wenn sie schon keine Kinder in die Welt setzten und einem Mann den Haushalt führten. Die Schwes-tern spielten diese Rolle richtig; nur die seltenen, zufälligen Besucher erfuhren von ihrer Not.

Und so wäre es vermutlich noch lange weiter gegangen; die Schwestern hätten sich mit immer größerer Bescheidenheit auf immer dürftigere Existenzbedingungen eingestellt, hätte nicht ein Unfall das Ende herbeigeführt. Am 22. Dezember 1910 werden beide von einem Auto erfasst, als sie auf dem Gänsemarkt zur Straßenbahn rennen. Dora – die lebenstüchtigere – stirbt am 1. Januar 1911; Claudine – ohne die ältere Schwester völlig mutlos – öffnet sich wenige Wochen später die Pulsadern, wird aber noch rechtzeitig gefunden. Kaum aus dem Krankenhaus entlassen, erschießt sie sich am 12. April 1911.

Nach ihrem Tod widerfuhr den Staack-Schwestern, was mit vielen Autorinnen passiert, die nicht viel von sich reden gemacht haben – sie gerieten in Vergessenheit. Schon die wenigen Nachrufe auf Claudine und Dora Staack waren voller Irrtümer; wenn ein Nachschlagewerk sie berücksichtigte, stand viel Falsches darin. Aber zumeist ignoriert man sie völlig.

In der Hamburger Kunsthalle wird ein einziges Bild von Claudine gezeigt, das Pastell „Mohnstrauß in einer Vase“ – letzte und wohl auch einzige öffentliche Spur, die die beiden ungewöhnlichen Schwestern in dieser Stadt hinterlassen haben. Kay Dohnke