„Now you are a Tanzanian hero“

■ Schulpartnerschaft als Globalisierungschance: Bremer SchülerInnen zu Besuch in Afrika / Ein Bericht

Auf der Gangway zum Flugzeug nach Dar Es Salaam via Entebbe verliert Eike seine Boarding Card. Geistesgegenwärtig hebe ich sie unter den Augen eines ugandischen Geschäftsmannes auf: „These youngsters do not take responsibility.“ Kein Auftakt nach Maß für die Reise mit acht Schülern und vier Lehrern als Delegation der Gesamtschule Bremen-West zur Mpechi-High School Njombe, der Partnerschule im Südwesten Tansanias.

Zwei Mal schon waren Schüler und Lehrer aus Afrika in Bremen zu Besuch. Nun gelingt die Gegenvisite dank des Zuschusses einer privaten Bremer Stiftung. Ein Kleinbus fährt vom Airport zum holprigen Tan-Zam-Highway. Siebenhundertfünfzig Kilometer stehen bevor: die Uluguru Mountains, ausgetrocknete Savannengebiete, Mikumi-Park, Ruaha-Waldland und die Hochebene der Southern Highlands. In langen Serpentinen schleicht das überladene Gefährt hinauf ins spärlich beleuchtete Njombe mit seinen fünfzehntausend Einwohnern. Hohe Tannen, Eukalyptusbäume in fast zweitausend Metern Höhe erinnern an europäisches Hochgebirge. Dort begrüßen SchülerInnen und Gastgeber die Deutschen trillernd und singend.

Unterkunft

Wir wohnen bei besser gestellten Eltern und Lehrerkollegen der Partnerschule, meist in einstöckigen Backsteingebäuden, die im Carré um einen Innenhof stehen. Aber: „Wir konnten schlecht einschlafen, immer hat irgendein Kind geschrien. Um fünf Uhr fingen die Leute schon an zu putzen und zu kochen und das Radio krächzte“, erzählt Tina. Sie teilt sich ein Bett mit Jana im Schlafzimmer ihrer Gastmutter. Zehn weitere Personen gehören zum Haushalt. Pausenlos erscheinen Nachbarn, um die Muzungus (Europäer) kennen zu lernen, Fragen zu stellen und Tipps zu geben. Der Verzicht auf Komfort setzt fast allen Deutschen zu. Erst recht am Abend beim Flackern von Petroleumleuchten. Der erste Umzug ist nach drei Tagen fällig. Dem Kollegen folgen Gaby und Simona, den nervlichen Belastungen der Malariaerkrankung ihres Gastvaters nicht gewachsen. Auch für Lars offenbart das authentische Leben tückische Fallen: „Unheimlich war hauptsächlich das Klo. Man musste sich merkwürdig knien.“

Welcome-Party

Nach zwei Tagen Aufenthalt, bei der Welcome-Party, treten Befindlichkeiten endlich in den Hintergrund. Partnerschülerinnen binden vor der festlich versammelten Schulgemeinde allen eine Kanga (traditioneller Wickelrock) mit dem Slogan „Langsam, aber sicher geht es voran“ um. Die Geste drückt noch mehr aus: „Now you are a Tanzanian hero!“ Die Schulprominenz schwingt dazu poetische Reden und erzählt die Erfolgsstory der Mpechi, die Ende der Achtziger auf Initiative von Eltern, mangels staatlicher Angebote als private Internatsschule entstand. Engagierte Menschen setzten damals unentgeltlich Stein um Stein aufeinander. Bauernkinder der umliegenden Dörfer bekommen nun die Chance auf Sekundarbildung. Eltern treiben das Unternehmen voran. Eine Genossenschaft vermarktet agrarische Produkte und unterstützt mit den Gewinnen fünf angeschlossene Schulen, zu der auch die Mpechi gehört. Bis vor kurzem eine fast heile Welt.

Jetzt nagt die Schule am Hungertuch, weil im Zuge rasanter Inflation die verarmte Landbevölkerung das Schulgeld nicht mehr bezahlen kann. Der kürzlich verstorbene Headmaster hinterlässt einen immensen Schuldenberg. Die Folgen: weniger Schüler, reduzierte Lehrergehälter, kein Strom und Telefon mehr. Der Bildungskoordinator Mr. Kinyamangoha betont: „Zur Zeit besuchen nur noch fünf Prozent aller Jugendlichen in Tansania eine Sekundarschule. In unserem Distrikt sind es noch elf.“

Kooperation

Seit zehn Jahren gibt es die Schulpartnerschaft. Sie ist Bestandteil im Curriculum der Gesamtschule Bremen-West. Immer wieder schlagen die Bremer Projekte vor und leisten finanziellen Anschub: Baumschule, Landwirtschaftsbetrieb, Hühnerfarm. Aus Überschüssen soll die Mpechi School Einkommen erwirtschaften. Sämtliche Vorhaben scheitern – auch am Einkommen der Lehrer, die immer hinzuverdienen müssen und am 10-Stunden-Tag der Schüler. Niemand kann noch Mehrarbeit leisten.

So entsteht das Sponsoring-Modell: Bremer Vereinsmitglieder übernehmen Patenschaften, zahlen Schulgeld für sozial benachteiligte SchülerInnen. Das schafft Einkünfte für die Mpechi und hilft Einzelnen. Auch ein Darlehenskonto für LehrerInnen, zur Überbrückung von finanziellen Engpässen, die regelmäßig durch säumige Schulgeldzahler entstehen, wird eingerichtet.

Lehrergesprächsrunde

Die afrikanischen Partner loben die Kontinuität der Beziehung. Wie in Afrika üblich, beugen persönliche Vorstellungen und rhetorische Einlagen jeder Gesprächshetze vor. Ein Lehrer erhebt sich, zieht eine Plastiktüte sowie drei Jutesäcke unterm Tisch hervor und verliest das Schreiben einer Familie: „Wir können nur Danke für die Unterstützung unserer Tochter sagen, aber nichts für ihre Großzügigkeit zahlen.“ In den Säcken sind Weizen, Mais, Trockenbohnen und ein lebendes Huhn für die Bremer Delegation. Nach dem freundschaftlichen Teil der Sitzung werden die „Hausaufgaben“ erledigt, gemeinsame Beschlüsse für die Zukunft gefasst. Es folgen Appelle: Mehr Transparenz sei für beide Seiten nötig. Mr. Sapula kritisiert: „Eure Schüler antworten nur selten auf unsere zahlreichen Briefe.“

Schülergesprächsrunde

In einem Klassensaal, auf hartem Holzgestühl, unterhalten sich zwanzig uniformierte SchülerInnen des School-Governments mit den PartnerInnen aus Bremen: Zum Sprechen stehen die Tansanier auf, geben brav Auskünfte über Schule und Region. Erst als ein europaerfahrener Vertrauenslehrer interveniert: „Erzählt von euren Sorgen und Hoffnungen“, folgen offene Aussagen.

Die meisten wollen Journalist, Lehrer, Priester oder Händler werden. Aber das ist unwahrscheinlich. Zu hart die Auslese, nicht vorhanden ein Stellenmarkt. Ditrick sagt: „Viele arbeiten nach dem Schulabschluß wieder bei den Familien in der Landwirtschaft. Aber das reicht gerade, um nicht zu verhungern.“

Schon die Sekundarausbildung erfordert Eigeninitiative. Mit fünfzehn heißt es Geld dazuverdienen, von zu Hause ausziehn. Als Simona Berufsberatung, Arbeitsamt und Sozialhilfe erwähnt, grinst das Gespenst von Chancenungleichheit ins Auditorium. Angesichts eines solchen Wohlstandsstaates verblasst Mathias' Schilderung über Arbeitslosigkeit und finstere Jobperspektive.

„Wenn Frauen arbeitslos sind, sitzen sie daheim rum und warten auf die Heirat. Gleichberechtigung gibt es nicht, der Mann bestimmt. Das hängt mit unserer Tradition zusammen“, stellt Yuditha fest. Trotz sporadischer Aufklärung ist Sexualität ein Tabu, häufige Schwangerschaften sind die Folge. Auch bei Sekundarschülerinnen, alle in heiratsfähigem Alter. Dabei herrscht an der Schule unnachsichtige Moral: Schon harmlose Liebesbeziehungen der Schüler untereinander führen zur Relegation.

Mpechi-Schulalltag

Es fehlen Landkarten, aktuelle Schulbücher und Medien. Die Lehrwerke sind maßlos überaltert. Begeistert nimmt deshalb das Kollegium die Möglichkeit auf, demnächst die Encarta-Enzyklopädie zur Aktualisierung des Unterrichts nutzen zu können, denn wir haben ein CD-Laufwerk mitgebracht. Überhaupt ist die Computerei, sicherlich keine zwingende Lösung der Misere, im Detail hilfreich. Aber wer soll das bezahlen? Monotonie von Kreide und Sprechen beherrscht den Alltag, begleitet von hierarchischen Ritualen. Aber die Prügelstrafe ist nahezu abgeschafft – weil sie exklusiver Ausführung durch den Direktor bedarf.

Gastfreundschaft

Um es den Gästen Recht zu machen, wirtschaften die Gastgeber über ihre Verhältnisse. Wie alle Mitschüler ist Simon überrascht: „Es gab sehr viel zu essen und immer warm.“ Ohne Betroffenheitspathos gelangen Tugenden wie Optimismus, Fröhlichkeit, Respekt und Toleranz ins Bewußtsein: „Wir haben gemerkt, dass die Menschen anders mit Fremden umgehen als bei uns. Sie sind viel offener und gastfreundlicher, nicht so skeptisch, sondern vertrauensvoll.“

Wolfgang Liesigk