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Wie eine Boulevardzeitung eine angebliche „Todesliste“ an einem Gymnasium skandalisiert und damit unberechtigt Assoziationen zu Gewalttaten in Amerika weckt

Das Thema „Gewalt an Schulen“ ist „in“ und immer für Schlagzeilen gut. Insbesondere seit dem Fall Littleton im US-Bundestaat Colorado, als vor knapp einem Jahr zwei Jungen zwölf MitschülerInnen und einen Lehrer erschossen.Danach brachten sie sich selbst um.

In Berlin wollen Medien immer häufiger Assoziationen zu dem spektakulären Fall wecken: Beispiel B.Z.: „Todesliste an Berliner Elite-Schule“ titelte das Boulevard-Blatt in dieser Woche. Der 14-Jährige Mario vom John-F.-Kennedy-Gymnasium in Zehlendorf habe acht Mädchen erschießen wollen, weil sie seinen besten Freund verspotteten. Gestern dann die überraschende Kehrtwende, ebenfalls in der B.Z. groß ausgebreitet. Diesmal als Versöhnungsnummer: „Stefan und Mario setzen sich mit den acht Mädchen, die sie umbringen wollten, zusammen. Zum Schluss umarmten sie sich.“ Was ist nun dran, an der Skandalstory in der John-F.-Kennedy-Schule, eine Zehlendorfer Schule mit gutem Ruf, die bisher nicht durch Gewalttaten aufgefallen war?

Der Vorfall, auf den sich die B.Z. bezieht, hat sich bereits vor zwei Wochen ereignet, die Zeitung aber erst vor drei Tagen darüber berichtet. Schulleiter Ulrich Schürmann hat Übung darin, seine Sicht der Dinge vor aufgeregten Eltern und Medienvertretern darzulegen: Stefan habe sich von den Mädchen in seiner Klasse ständig „gepiesackt“ gefühlt, so Schürmann. Gemeinsam mit Mario habe er eine Liste mit sieben Mädchennamen zusammengestellt. Von einer „Todesliste“ war aber keine Rede. Zwei Mädchen, so Schürmann, hätten Wind davon bekommen und sich ihm anvertraut. „Sie fühlten sich tatsächlich bedroht.“ Schürmann schaltete die Kriminalpolizei ein. Die beiden Jungen wurde für einige Stunden festgesetzt. „Sie waren sehr erleichtert, dass sie endlich alles erzählen konnten“, sagt Schürmann. Es habe sich eine Eigendynamik entwickelt, die den Jugendlichen selbst unheimlich geworden sei. Die Polizei schloss nach Gesprächen mit den Eltern aus, dass die Schüler Zugang zu Waffen hatten, und ließ sie deshalb bald wieder frei.

Seit zwei Wochen sind Stefan, Mario sowie die Mädchen von der Liste gemeinsam auf Klassenfahrt in Österreich. Es sei geplant, den Konflikt zwischen den SchülerInnen aufzuarbeiten, sagt der Schulleiter. An der Schule ist die Diskussion über den Vorfall unaufgeregt. „Wie viele Schüler haben nicht schon mal einen Galgen gekritzelt, an dem ein Lehrer hängt?“, fragt Schürmann gelassen. Dennoch steht er dazu, die Polizei eingeschaltet zu haben. „Das war ein wichtiges Signal für die Kinder.“

Wie das Thema „Gewalt an Schulen“ geschürt wird, zeigt ein weiteres Beispiel: Die B.Z. hatte unter ihren Artikel mit der „Todesliste“ eine Reihe von Schülern zu dem Thema „Hass in Köpfen“ zitiert. Ein 14-Jähriger von der Theodor-Plivier-Hauptschule in Wedding sagte demnach: „Ich habe allein heute bei fünf Mitschülern Messer gesehen.“ Doch das war gelogen. Schulleiter Andreas Kuhlmann:„Der Junge hat mir gebeichtet, dass er die B.Z.-Reporter angelogen hat.“ Er habe sich nur wichtig machen wollen.

JULIA NAUMANN