Zweiter Rosenkrieg

Eltern fürchten sich vor ihren Kindern: Danny DeVitos Dahl-Verfilmung „Matilda“ ist der Kinderfilm des Monats

Seine drei Kinder, so hat Danny DeVito einmal gesagt, hätten ihn quasi genötigt „Matilda“ zu drehen. Der Roman von Roald Dahl war ihr Lieblingsbuch, also hat der Papa ihnen vor drei Jahren den Gefallen getan und auch gleich die Rolle von Matildas Vater übernommen, einem Gebrauchtwagenhändler, der seine wissbegierige Tochter zum Fernsehen zwingt, „Moby Dick“ mit den Worten „Wer braucht Bücher, wenn er Fernsehen hat?“ zerreißt und ihr verbietet, auf die Schule zu gehen. Die Mutter interessiert sich derweil nur für Bingo und Schminktechniken.

Matilda aber ist natürlich viel zu clever für ihre tumben Eltern, die nicht einmal wissen, wie alt sie ist. Außerdem hat sie ein paar übersinnliche Fähigkeiten, geht dann doch zur Schule und macht schließlich aus der an ein Arbeitslager erinnernden Lehranstalt gar eine menschenfreundliches Institut, indem sie die mit ostdeutschem Testosteron gestählte Direktorin zum Teufel jagt. Das Happy-End ist allumfassend, aber nicht verlogen: Die doofen Eltern entdecken nicht etwa ihr gutes Herz. Nein, Matilda lässt sie einfach sitzen.

Dahls Geschichte ist nicht nett, freundlich und voller sympathischer Menschen, sondern ein Buch zum Lachen und zum Weinen, zum Freuen und zum Fürchten, eine Geschichte, die auch mal grausam ist und gruselig, aber in der am Ende die Warmherzigkeit das Böse besiegt. Aber bis es soweit ist, werden Kinder zwangsgefüttert, in Schränke gesperrt und von der furchterregenden Schulleiterin Knüppelkuh an ihren Haaren durch die Luft geschleudert.

DeVito hat das mit viel Fischauge und Slapstickeinlagen kongenial umgesetzt. Es hat ihm viel Kritik, vor allem in den USA, eingebracht, dass er die Vorlage nicht geglättet und den Jüngsten das Grusels nicht erspart hat.

Vor allem aber ist die in Amerika hochheilige Institution Familie hier der Hort des Schreckens. „Matilda“ mag in seiner kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema Familie die Jugendfilmvariante von DeVitos großem Erfolg „Der Rosenkrieg“ sein, ist aber fast noch böser geraten. Denn DeVitos Verfilmung vertraut wie das Buch darauf, dass Kinder sehr wohl zwischen Realität und Phantasie unterscheiden können, dass die Rache, die Matilda nimmt, nur eine symbolische ist. Den Kindern wird eine Selbstverantwortlichkeit zugewiesen, von der sie der durchschnittliche Kinderfilm sonst entbindet. Allein das macht „Matilda“ zu einem wirklich furchterregenden Film. Nein, nicht für Kinder. Nur für Eltern.

Thomas Winkler

„Matilda“, USA 1996. R: Danny DeVito. Mit Mara Wilson, DeVito, Rhea Perlman, u. a., 95 Min. Läuft an jedem Tag in einem anderen Berliner Kino, zentrale Vorbestellung: 4 49 47 50