Alle Macht den Kleinen

Immer im Kampf gegen den Shareholder-Value: Kritische Aktionäre geben den Vorständen der Konzerne Nachhilfe in Ökologie

Wenn zwei Unternehmen fusionieren, freuen sich üblicherweise die Aktionäre – und auf der Hauptversammlung herrscht Hochzeitsstimmung. Doch dann steht einer auf und verdirbt die gute Laune. Er stellt beispielsweise den Antrag, die Fusion abzulehnen, weil sie 2.500 Arbeitsplätze kosten wird. „Die Aktionäre sollten stattdessen ihre Verantwortung gegenüber den Menschen wahrnehmen, die ihre Dividenden erarbeiten“, lautet die Begründung. Die Hochzeitsgäste – neulich bei Viag und Veba – sind kurz irritiert, lehnen dann den Antrag ab, und die Hauptversammlung geht ihren gewohnten Gang.

Kritische Aktionäre haben einen harten Job. Sie fragen nicht, wie hoch die Dividende ausfällt, sondern woher sie stammt. Und sie fragen ausgerechnet diejenigen, für die es nichts Wichtigeres gibt als eben die Höhe dieser Dividende. Mitte der 80er-Jahre begannen engagierte Menschen, sich bewusst Aktien der Unternehmen zu kaufen, deren Projekte sie bekämpften. Banken, AKW-Betreiber, Rüstungsschmieden und Chemiekonzerne gehörten zu den bevorzugten Papieren. Der Anteilschein war zugleich Eintrittskarte für die jährliche Hauptversammlung und bot die Gelegenheit, den Konzernvorständen die Meinung zu sagen und Öffentlichkeit für das eigene Anliegen zu schaffen.

Die Gefahren der Atomenergie und der Gentechnik, die Ausbeutung der Arbeiter in Konzernfilialen von Entwicklungsländern, die Profite aus Tod bringenden Rüstungsgeschäften: all dies schlugen die „Kritischen“ den Konzernlenkern und ihren couponschneidenden Claqueuren um die Ohren. So manchen Manager brachten die Auftritte zur Weißglut, und der größere Teil der Anteilseigner denkt heute noch lieber an das Buffet. 1986 schlossen sich die einzelnen Gruppen zum Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre zusammen, um ihre Stimmrechte gemeinsam zu verwalten und die Arbeit effektiver zu machen. Im Vordergrund steht dabei nicht der eigene Aktienbesitz, sondern die Vertretung von Aktionären, die sich für ihr Unternehmen einen ökologischen und sozialen Kurs wünschen.

Kurzfristige Erfolge sind in diesem Geschäft selten. Die Konversion von Rüstungsherstellern oder der Atomausstieg von Viag sind langfristige Projekte. Doch es gibt auch kleine Highlights, die immer wieder motivieren. Da musste Bayer brasilianische Gewerkschafter wieder einstellen, denen widerrechtlich gekündigt worden war. Oder Schering: Der Konzern stoppte die Desinfektion von Mitarbeitern mit krebserregendem Formaldehyd in seiner Niederlassung in Lima, als das Thema plötzlich auf der Hauptversammlung öffentlich gemacht wurde. Dass bei der Fusion von ABB und Alstom nur ein Drittel der ursprünglich geplanten 700 Arbeitsplätze gestrichen wurden, ist für Henry Mathews, Geschäftsführer des Dachverbandes, auch ein Erfolg der Kritischen. Die hatten gemeinsam mit Belegschaftsaktionären auf der Hauptversammlung gegen den Abbau gekämpft.

Der Einsatz für die Arbeitsplätze ist angesichts der grassierenden Fusionitis eines der wichtigsten Anliegen des Dachverbandes. Für die betroffenen Betriebsräte sind die Kritischen Aktionäre deshalb ein wichtiger Bündnispartner. Henry Mathews freut sich, dass auch Kleinaktionärsvertreter wie die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DWS) inzwischen das Thema aufgreifen. „Vor fünf Jahren wollten die nur wissen, warum die Dividende nicht 50 Pfennig höher ist.“ Auf der Habenseite bucht Mathews auch die steigende Zustimmung auf den Versammlungen. So forderten in den letzten Jahren bis zu acht Prozent des anwesenden Kapitals die Deutsche Bank und andere Firmen auf, Umweltschutz, Frauenförderung, Produkthaftung und soziale Gerechtigkeit als zentrale Unternehmensziele in den Satzungen zu verankern.

Stetig wachsend ist auch die Zahl der Aktionäre, die ihre Stimmrechte an den Dachverband abtreten. Knapp 1.000 sind es, die sich lieber von den Kritischen Aktionären vertreten lassen als von ihrer Depotbank. Der Dachverband gibt die Stimmrechte an die jeweilige Mitgliedsorganisation weiter und koordiniert die Auftritte. Rund 30 Firmen werden jedes Jahr mit den ökologischen und sozialen Auswirkungen ihrer Profite konfrontiert. Dabei bestimmt nicht der Dachverband die vorzutragenden Anliegen, sondern die jeweilige Organisation.

Im letzten Jahr wandte sich die Initiative „Kein Mensch ist illegal“ an die Kritischen Aktionäre. Sie wollte die Mithilfe der Lufthansa bei Abschiebungen thematisieren und bat um Unterstützung. Die Hauptversammlung der Fluggesellschaft endete im Eklat: Weil die Konzernchefs nicht hören wollten, dass sie für den Tod von Flüchtlingen mit verantwortlich sind, drehten sie kurzerhand die Mikros ab. Die Regenwaldkämpfer der Organisation Urgewald sind eines der neuesten Mitglieder im Dachverband. Sie brachten mit Hilfe der Kritischen Aktionären 1997 die Dresdner Bank dazu, sich aus der Finanzierung eines Staudammprojekts in Chile zu verabschieden. Das nächste Ziel ist jetzt die HypoVereinsbank. Sie finanziert mit einem 250-Millionen-Dollar-Kredit die Vertreibung von 40.000 Bauern und die Überflutung wertvollen Ackerlandes durch den indischen Maheshwar-Staudamm. Auf der letzten Hauptversammlung im Dezember 1999 scheiterte der Antrag, dem Vorstand wegen dieser unsozialen Geschäftspolitik die Entlastung zu verweigern. Doch Kritische Aktionäre sind hartnäckig. Das Thema wird auch heuer wieder auf der Tagesordnung stehen. Ebenso wie die Festlegung der Dividende. Leo Frühschütz

Dachverband der Kritischen Aktionäre, Schlackstr. 16, 50737 Köln. Tel. (02 21) 5 99 56 47