Ein nationaler Pilgerort

Die Stadt Sukhothai, „Morgendämmerung des Glücks“, steht auf dem Pflichtprogramm thailändischer Schulklassen. Hier begann die thailändische Geschichte mit dem sagenhaften König Rama. Geschichte und Routen zu dem Historischen Park

Wenn wir Sukhothai erhalten, dann können wir die Geschichte unseres Landes retten, meinte Prinzessin Sirindhorn, die Tochter des Königs Bhumiphol, und ließ die alten Gemäuer restaurieren

von JUTTA LIETSCH

Als der französische Archäologe Lucien Fournereau die alte Königsstadt Sukhothai Ende des letzten Jahrhunderts besuchte, war er lange unterwegs. Für die 450 Kilometer von Bangkok durch die malariaverseuchten Dschungel Zentralthailands brauchte er fast einen Monat. Doch dann war er überwältig von dem, was er fand: Hier schlummerten, überwuchert vom dichten Grün, eine unüberschaubare Zahl von Buddhastatuen und Tempelruinen aus dem 13. bis 15. Jahrhundert. Gestört wurden diese nur von Räuberbanden, die in den Fundamenten und Stupas nach Gold und Bronze suchten und sich bei Erfolg ihrer Suchaktion mit Waffengewalt um ihre Beute stritten.

Die Zeit der schaurigen Strapazen und Banditen ist vorbei. Heute ist Sukhothai täglich in einer Stunde von der heutigen Hauptstadt Bangkok aus zu erreichen. Vom kühlen Fensterplatz in der „Bangkok-Airways-Propellermaschine“ ist rechts der sandgelbe Chao-Phraya-Fluss zu sehen, der einen Teil des Weges begleitet – vorbei an grünen Reisfeldern, schnurgeraden Kanälen und den grau glänzenden Äckern, die noch Mitte November von den schweren Monsunregen überschwemmt sind.

Sukhothai bedeutet übersetzt „Morgendämmerung des Glückes“. Das klingt verlockend, wenn man für zwei oder drei Tage dem 10-Millionen-Einwohner-Moloch Bangkok entfliehen will. Aus dem überwucherten Ruinen ist längst ein gepflegter „Historischer Park Sukhothai geworden“, dessen 193 Bauwerke auf 70 Quadratkilometern 1991 von der Unesco zum „Weltkulturerbe“ erklärt wurden – zusammen mit zwei weiteren Tempeldistrikten in der Umgebung, dem „Historischen Park Sri Satchanalai“ und dem „Historischen Park Khamphangpaet“.

Aber der Besuch von Sukhothai ist nicht nur ein kulturelles Vergnügen und eine Tour in die Geschichte Thailands. Wer auf dem – überall zu mietenden – Fahrrad durch die riesigen Anlagen gleitet, kann nach der Hektik Bangkoks Momente der Stille und Entspannung finden.

Dies ist der Ort, den die Thailänder als Wiege ihrer Zivilisation betrachten, und so pilgern viele Einwohner einmal im Leben nach Sukhothai. Alle Schulkinder lernen die berühmten ersten Sätze der steinernen Inschriften, die hier einst gefunden wurden, auswendig: „In der Zeit von König Rama dem Kühnen (Ramkhamhaeng) blüht das Land Sukhothai. Im Wasser gibt es Fische, auf den Feldern Reis.“ Sie erfahren von den großen Dingen, die dieser wichtigste König der Sukhothai-Ära, der 1279–1316 lebte, vollbracht haben soll: dass er nicht nur die thailändische Schrift erfand, sondern auch überaus weise und gütig regierte.

Die Herrschaft Ramas des Kühnen gilt als goldenes Zeitalter des Friedens und Wohlstands, in dem die Bauern frei und alle Menschen gleich waren. Am Ende seines Lebens habe Rama über ein Reich geherrscht, dessen Einfluss im Süden bis auf die Malaiische Halbinsel, im Westen bis an die Bucht von Bengalen und im Norden weit ins heutige Laos hinein reichte.

Das ist zu schön, um wahr zu sein. Wie es sich für derart wunderbare Geschichtsdarstellungen gehört, streiten sich die thailändischen Historiker allerdings inzwischen leidenschaftlich über die Echtheit der Inschriften. Von wegen Gleichheit: Die Herrscher von Sukhothai hatten sehr wohl ihre Sklaven, heißt es heute. Einige Forscher glauben sogar, dass die berühmteste der steinernen Chroniken erst viel später entstand – im 19. Jahrhundert unter König Mongkut. Die Fälschung sollte möglicherweise einem guten Zweck dienen: Mongkut wollte, so lautet eine Erklärung, die Europäer mit der großen Vergangenheit Siams beeindrucken. Er habe gehofft, dass die Kolonialmächte sein Land aus Respekt vor der alten Zivilisation in Ruhe lassen würden.

Doch diese historischen Debatten stören den liebenswürdigen jungen Herrn Thongsak nicht, der seine kleine Reisegruppe durch das Museum und die Tempelruinen im „Historischen Park“ von Sukhothai führt: „Es war eine schöne Zeit“, erzählt er begeistert. „Wenn sich die Menschen einmal beschweren wollten, brauchten sie nur an die Glocke am Tor des Palastes zu schlagen. Dann kam der König heraus, hörte sich alles an und löste die Probleme sofort.“

Vor dem inneren Auge lässt er die Größe und Schönheit der Tempelanlagen wieder erstehen, von denen zumeist nur noch die Laterit- und Backsteinsockel und Säulen erhalten sind. Er berichtet, wie die Baumeister jener Zeit die kulturellen Einflüsse aus den großen Nachbarregionen aufnahmen, den mächtigen Reichen der Khmer und den burmesischen Mon. Er erinnert daran, wie sie Pagoden und Buddhastatuen im kambodschanischen Stil neben burmesischen, und srilankischen Formen erstehen ließen. Mit den Mönchen kamen auch die Händler aus allen Teilen Südostasiens. Keramik und Webstoffe aus der Region wurden weithin verkauft. In der Blütezeit Sukhothais lebten hier um die 400.000 Menschen.

Dass Sukhothai restauriert wurde, ist nicht zuletzt Prinzessin Sirindhorn, der Tochter des heutigen Königs Bhumiphol zu verdanken. Sie hatte die Ruinen 1978 besucht und erklärt: „Wenn wir Sukhothai erhalten, dann können wir die Geschichte unseres Landes retten.“

Für Reiseführer Thongsak ist dies ein weiterer Beweis dafür, wie wichtig die königliche Familie bis heute für das Überleben Thailands ist. „Wie die Könige von Sukhothai“, sagt Thongsak, „hat uns König Bhumiphol den Frieden bewahrt.“

Seit Bangkok Airways vor vier Jahren den außergewöhnlich schönen Flughafen in Sukhothai eröffnete, haben viele Reiseunternehmen den Ort in ihr Angebot aufgenommen – als Zwei-bis-drei-Tages-Tour oder als Abstecher auf dem Weg von Bangkok in die nordthailändische Stadt Chiangmai. Vorteil dieser organisierten Reisen: Für alle Transporte, Reiseführer und Hotels ist gesorgt. Drei-Tages-Touren mit Flug von Bangkok aus und zwei Übernachtungen sind für rund 400 Mark zu buchen, zum Beispiel bei der Firma Pink Rose Holidays in Bangkok, die mit Bangkok Airways zusammenarbeitet.

Für Erholungssüchtige mit wenig Zeit sind solche Angebote zu empfehlen: Die Entfernungen zwischen den Tempelstätten sind groß, einige der Drei- oder Vier-Sterne- Hotelanlagen wie das „Sukhotai Ressort“ und das „Pailyn Sukhothai“ liegen abgelegen. Die „Old City“ mit dem historischen Tempelbezirk befindet sich etwa 12 Kilometer außerhalb der Stadt, die beiden anderen Historischen Parks in Sri Satchanalai und Khampangphaet sind bis zu 60 Kilometer von Sukhothai entfernt.

Wer Muße und Abenteuerlust, aber weniger Geld hat, gelangt mit dem klimatisierten öffentlichen Bus in sechs bis sieben Stunden von Bangkok nach Sukhothai. Zwischen den Tempelanlagen verkehren lokale Busse.

Keramik und traditionelle Webstoffe gehören zu den typischen Produkten der Region: Am Yom-Fluss, der Sukhothai durchzieht, lagen einst die berühmten Keramikbrennereien, deren Erzeugnisse bis nach Malaysia gehandelt wurden. Kopien alter Vorbilder werden in Geschäften in Sukhothai und an Ständen in der Nähe der Historischen Parks angeboten. Längst hat man hier den Fremdenverkehr als lukrativen Wirtschaftszweig genutzt.

Auch die Weberinnen im Dorf Ban Hat Siao auf dem Weg nach Sri Satchanalai. Sie pflegen noch die Bräuche der Webart – und erwirtschaften damit ihren Nebenverdienst. Unter vielen der Stelzenhäuser stehen wie in alten Zeiten ihre Webstühle.

Die meisten Gästehäuser und Hotels liegen in der „New City“ von Sukhothai. Für ein reges Nachtleben ist die Stadt allerdings nicht bekannt.

Viele Gästehäuser vermieten bereits ab rund 10 Mark pro Tag, einige verleihen Fahrräder, manche auch Motorräder. Zu den angenehmsten dieser Gästehäuser zählt das Lotus Village mit kleinen Holzbungalows im traditionellen thailändischen Stil, geführt von einer französisch-thailändischen Familie.

Die Kosten für ein Doppelzimmer oder Häuschen liegen zwischen 240 und 800 Baht, Tel.: (00 62-55) 62 14 84, Fax: 62 14 63, E-Mail: lotusvil@yahoo.com.Alle größeren Reiseunternehmen bieten Sukhothai-Trips an, auch im Zusammenhang mit längeren Thailand-Rundreisen.