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: Deutscher Fußball, das Maß aller Dinge?

Der FC Bayern als SC Freiburg

Bayern München die beste Klubmannschaft der Welt, Effenberg in die Nationalmannschaft , die Auferstehung des deutschen Fußballs in spanischen Landen – hoch schlugen nach dem 4:2-Sieg der Münchner bei Real Madrid die Wogen der Euphorie. Inzwischen schwappen sie etwas gemächlicher, was nicht zuletzt Hertha BSC und Borussia Dortmund zu verdanken ist, die sich im Kielwasser des Bayern-Wunders sozusagen als Wellenbrecher der bitteren Realität betätigten. Den beiden Spitzenklubs der Bundesliga war es vorbehalten, beim 1:1 gegen Sparta Prag und beim 0:2 gegen Galatasaray Istanbul deutlich zu machen, dass der Standard teutonisch geprägter Fußballkunst wohl doch eher an der Amsterdamer Ribbeck-Demontage durch die Niederländer zu messen ist als am Bajuwarenrausch von Bernabeu. Zeit also, aus den Sphären nationaler Fußballerweckungsphantasien auf den harschen Boden der Tatbestände zurückzukehren.

Wie so oft in der Geschichte des Fußballs hat in Madrid das historische Resultat die wirklichen Geschehnisse ein wenig übertüncht. Der erste Europapokalsieg einer deutschen Mannschaft im Bernabeu-Stadion, das schmeckt nach Mythos, nach den Wembley-Triumphen von Ungarn 1953, der Bundesrepublik 1971 und fast ein wenig nach Wankdorf 1954. Die höhnischen Worte eines Stefan Effenberg an die Adresse der ungeliebten Medien, die ebenso wütende wie kuriose Verteidigung des deutschen Fußballs durch den Brasilianer Giovane Elber gemahnen zudem an den Aufschrei verwundeter Seelen. Verzeihlich, dass dabei die Maßstäbe ein wenig verrutschen.

Ohne Zweifel hat Bayern München in Madrid ein großartiges Spiel geliefert und völlig verdient gewonnen. Ohne Zweifel hat die Mannschaft in einzelnen Situationen, besonders am Anfang und bei ihren Kontern, wunderbar Fußball gespielt. Den schöneren Kombinationsfußball aber hat Real Madrid gezeigt, was verwundert, nachdem die Madrilenen bisher eine relativ katastrophale Saison hingelegt hatten und selten so aufgetreten waren, wie man es von diesem Panoptikum der Weltstars erwarten kann.

Bayerns Meisterleistung war hingegen in erster Linie eine taktische, und zu Recht wird Trainer Ottmar Hitzfeld dafür mit Lorbeeren überhäuft. Aber wie schon in der vergangenen Champions-League-Saison gegen Kiew und Manchester war die abwehrbetonte Taktik der Bayern eine, die ein schwächeres Team gegen ein stärkeres anwendet, das im Hochgefühl seiner Überlegenheit den Gegner in Grund und Boden spielen will, dies teilweise auch tut und dennoch kühl ausgekontert wird. Der FC Bayern ist so gesehen der SC Freiburg auf Champions-League-Niveau.

Es klang sehr trotzig, als sich Stefan Effenberg darüber beschwerte, dass so viel von Reals Weltstars die Rede gewesen sei, und tönte: „Wir haben auch Weltstars.“ Eben nicht! Jeder einzelne Bayern-Spieler, außer Kahn und Jeremies, hätte bei den südeuropäischen Spitzenklubs gewaltige Probleme, über ein Dasein als Bankdrücker hinauszukommen. Die meisten stehen nicht einmal für diesen Job zur Debatte. Effenberg selbst ist so wertvoll für die Bayern, weil er endlich akzeptiert hat, dass er nicht der geniale Spielmacher ist, für den er sich lange Zeit hielt, sondern ein exzellenter Rollenspieler. Er tut, was notwendig ist, und verzichtet auf persönliche Profilierung, was ihm in der Regel eine schlechte Presse und den Zorn der Fans einträgt, die nicht sehen, wie gut er ist. Nur selten wird sein Beitrag so gewürdigt wie in Madrid, und auch dazu brauchte es ein krummes Freistoßtor, das normalerweise jeder Bezirksligatorwart verhindert hätte.

Die Weigerung der Bayern, mit den ungeheuren Summen, die in Italien, Spanien und England gezahlt werden, zu konkurrieren, bedingt zwangsläufig ein anderes Konzept. Statt immer neue Superstars aufeinander zu türmen, zählt eine Kontinuität, die es Spielern ermöglicht, in ihre Rollen hineinzuwachsen. Statt sich mit indisponierten und launischen 60-Millionen-Stürmern wie Madrids Anelka herumzuärgern, kann Ottmar Hitzfeld so in relativer Ruhe die Basis dafür schaffen, an guten Tagen auch spielerisch besseren Gegnern Paroli bieten zu können – wenn einem, wie gegen Leverkusen und Real, die Gnade des frühen Tores zuteil wird und im eigenen ein Oliver Kahn steht.

Dass man auf diese Weise sogar die Champions League gewinnen kann, hätte Bayern im letzten Jahr fast bewiesen. Ob die Anregung von Effenberg, Erich Ribbeck solle sich ein Video vom Bayern-Spiel in Madrid besorgen und das Gesehene einfach nachmachen lassen, geeignet ist, der Nationalmannschaft über die EM zu helfen, darf bezweifelt werden. Sicher ist: Mit Ottmar Hitzfeld als Trainer würde sie besser spielen.

MATTI LIESKE