Die Frau und ihre AK-47

■ Sandy Dillon setzte die alten zwölf Takte auf einen elektrischen Stuhl in der Hölle

Wer verbirgt sich hinter der Frau mit den schwarzen Haaren, Frisur: Vidal Sassoon, Make-Up: Anna Lennartson? Da ist der entsprechende Hinweis auf ihrem Album; da ist das Bild, auf dem sie blass, mit geschlossenen Augen und rot geschminkten Lippen inmitten schwarz-weiß-photographierter Hecken steht; und da ist natürlich die Musik, die bei aller Gebrochenheit, aller Kaputt-ness und Brüchigkeit ein hohes Maß an Distanz erlaubt, da sie hochstilisiert erscheint. Wir erfahren nicht eben viel über Sandy Dillon. Angeblich kommt sie irgendwo aus dem Norden der USA, aus der Nähe der großen Seen, ging nach New York, wo sie in Stricher-Bars spielte, sich erfolgreich auf di Fe Rolle der Janis Joplin in einem Musical bewarb, schließlich entdeckt wurde und mit Leuten wie Jaco Pastorius und Mick Ronson zwei Alben aufnahm, die bis heute nicht veröffentlicht worden sind.

„Electric Chair“, das Album, mit dem die mittlerweile in London ansässige Sängerin im letzten Jahr schließlich auf der Bildfläche erschien, verblüffte mit dem, was Dillon „modern blues“ nennt, was allerdings modern höchstens im Verhältnis zu ihren Wurzeln ist, die sich im titelgebenden „Send Me To The 'Lectric Chair“, einem Bessie-Smith-Klassiker manifestieren. Darüber hinaus sind die Bezüge zu den mittlerweile bereits selbst zu Klassikern gewordenen Blues-Sängern Tom Waits und Captain Beefheart kaum zu übersehen. Beef-hearts „This Is The Day“ bildete am Samstag auch das eindrucksvolle Ende ihres regulären Sets.

Auf der Bühne hatte sich die Kunstfigur mit Leben zu füllen. Eine unrepräsentative Umfrage des Autors ergab, dass eigentlich fast niemand die Musik von Dillon kannte, aber Gutes gehört hatten viele. Ganz in Schwarz gekleidet, begleitet von den Musikern, die auch auf „Electric Chair“, teils an recht obskuren Instrumenten zu hören sind, erwies sich Dillon im Moments als charismatische Bühnenpersönlichkeit mit morbidem Charme. Aber der Blues, und speziell in ihrer Version, ist schließlich keine fröhliche Angelegenheit. Da bringen Frauen ihre Rivalinnen mit einer AK-47 um, aus Eifersucht, oder ihre Männer, und möchten dann lieber auf den elektrischen Stuhl, als den Rest ihres Lebens in einer Zelle zu sitzen. Oder sie nehmen sich vor, den alten, reichen Knacker endlich abzumurksen, um an sein Geld zu kommen, aber können sich dann doch nicht durchringen, weil sie sich nicht um ganz irdische Vergnügungen bringen wollen, weshalb sich der Alte nur durch seine chevaleresken Qualitäten am Leben erhalten kann, ohne zu ahnen, welches Kalkül an ihm da ständig vollzogen wird.

Und dann gab es auch noch die Momente, in denen Dillon ganz auf ihre Band verzichtete, auf die mit Stricknadeln manipulierte Gitarre von Steve Bywater, auf Ray Majors Dobro und auf die exotische Percussion von George Hadjineophytou. Lediglich sich selbst am Rhodes-Piano begleitend sang sie höchst fragile Balladen, in denen sie sich den Luxus leistete, ganz altmodisch als Interpretin zu fungieren. In diesen Momenten stand ihre Stimme, rissig, verwundet und bis in den letzten Hauch hinein voller Spannung, natürlich noch mehr im Mittelpunkt.

Es wäre der Vollständigkeit halber anzumerken, dass sie hier an ein oder zwei Stellen ein wenig manieriert wirkte. Irgendwann wird sie wahrscheinlich an der Scheidemarke stehen, an der auch Tom Waits gestanden hat. Eher Interpret zu sein oder ein Unikum, ein Gesamtkunstwerk; entweder im Rahmen konventioneller Arrangements vermittels der stimmlichen Ausdruckskraft die größtmögliche Wirkung erzielen oder den ganz eigenen Sound erschaffen. Sandy Dillon auf dem Grat zwischen diesen Optionen wandeln zu sehen, ist vorerst faszinierend. Andreas Schnell