Vom Gegensinn der Urworte

Hertha BSC gewinnt mit 2:1 gegen Unterhaching und beweist, dass ein Europapokalplatz in der Bundesliga nie leichter zu ergattern war

Von MARKUS VÖLKER

Beschäftigen wir uns ein wenig mit den Sprachgewohnheiten der alten Ägypter. Als die Mannen vom Nil noch Hieroglyphen zeichneten, um sich zu verewigen, sprachen sie Worte mit doppelter Bedeutung. Wenn sie „gut“ sagten, hieß das gleichzeitig „schlecht“. Nur durch eine Kritzelei hinter dem antithetischen Begriff wurde die Semantik klar: gut oder schlecht.

Auch in den heutigen Sprachen gibt es noch Rudimente (wieder/wider) und Enklaven, wo der Gegensinn der Urworte kultiviert wird. Wie bei Hertha zum Beispiel. Die spielen meist schlecht, was in der Klitterung des Kicks dann zu gut mutiert, einem gutschlechten Spiel also.

Hatten sich Herthas Trainer Jürgen Röber und seine Mannen nach dem samstäglichen Spiel gegen Unterhaching etwa die alten Ägypter zum Vorbild genommen? Oder wies die Spielanalyse nur auf die gesunkenen Ansprüche hin, die derzeit beim Champions-League-Teilnehmer walten? Aus allen Mündern drang jedenfalls derselbe Satz: Trainer Jürgen Röber: „Wir haben gut gespielt.“ Manager Dieter Hoeneß: „Wir haben gut gespielt“. Brian Roy, der sein zweites Bundesligator erzielte, modifizierte leicht: „Ich glaube, dass wir guten Fußball gespielt haben.“

Was diese ganz und gar nicht objektive Beurteilung verschleiern sollte: Es war kein gutes Spiel. Man brauchte kein Dechiffriergerät, um die Mängel im Spiel von Hertha zu entdecken. Die „allgemeine Verunsicherung“ (Röber) sprang die 35.000 Zuschauer im Olympiastadion förmlich an. In der ersten Halbzeit pulste lediglich durch Stürmer Michael Preetz Leben und Kampfesmut. Nur was ihr statisches Spiel betrifft, waren die Herthaner der Champions League und vorderen Bundesliga-Rängen würdig. Bestünde Fußball nur aus Standardsituationen, die Blau-Weißen könnten es jederzeit mit den europäischen Branchenführern aufnehmen. Hertha ist der inoffizielle Vereinsweltmeister des ruhenden Balls. Bedauerlich für Hertha, dass es aber nach allgemeiner Auffassung darauf ankommt, das Spielgerät ab und an durch Dribblings und Pässe flüssig im Spiel zu halten, vor des Gegners Tor zu tragen, um dann dem tieferen Sinn der Sportart Rechnung zu tragen – und ein Tor zu erzielen.

In der zweiten Spielhälfte versuchten die eingewechselten Alex Alves und Sebastian Deisler statisches mit dynamischem Spiel zu substituieren. Was gelang. Das Führungstor der Unterhachinger durch Marco Haber (15. Minute) glich Sixten Veit in der 80. Minute aus; nur eine Minute später traf Roy volley mit dem linken Fuß ins Tor. Die normative Kraft des Faktischen – drei Punkte gewonnen, fünfter Platz in der Liga – schuf in den Köpfen der Hertha-Offiziellen hernach eine besondere Realität. Der dick aufgetragene Optimismus schmierte sich ölig auf die massive Mediokrität der Hauptstädter.

Die erste naive Phase der Elaboration durchschritt Röber während des offiziellen Teils der Pressekonferenz, als er voll des Lobs vom Spiel berichtete und Komplimente verteilte. Während des Journalisten-Stammtisches schließlich, an dem sich nach Ende der Medien-Formalie gewöhnlich ein Dutzend Schreiber um den Übungsleiter scharen, räumte er dann ein: Wenn Hertha weiter fleißig arbeite, werde man auch wieder gut spielen. Irgendwann. In nahferner Zukunft.

Der intime Plausch förderte tiefere Wahrheiten zutage. „Wenn ich sage, der hat gut gespielt, kommt der nicht wieder runter“, sagte Röber über die Fortschritte von Alves. Das war sogar recht barsch. Also was nun, gut oder doch schlecht gespielt, Herr Röber? „Es gibt im Fußball immer so Phasen, wo es hier oben und da unten nicht klappt.“ Da war er wieder, der Widersinn der Worte. Zum Glück setzte Röber gestische Hieroglyphen hinter seine Ausführungen. Bei oben deutete er auf den Kopf. Bei unten auf die Füße. Wenn man ihn also richtig verstanden hat, dann hat Hertha ein untobiges Problem. Wenn’s weiter nichts ist.