Die geheimen Unwörter der FAZ

Einhundertsechzehn Einträge lang, fein und säuberlich alphabetisch sortiert, kommentiert – und endlich entdeckt: Die „Liste von zu meidenden und nur nach genauer Überlegung zu verwendenden Wörtern und Wendungen“

Das Rheingold, der Schatz des Priamos, Uwe Barschels Nuttenkasse, die Grabbeigaben des Tutenchamun, die Kochmütze des hessischen Ministerpräsidenten: Vielerlei sagenumwobene Reichtümer und Reliquien hat die Menschheit schliemannmäßig qualvoll und gewieft „letztendlich“ doch heben, bergen, aufdecken und entdecken können (von den sibirischen Uranvorkommen ganz zu schweigen). Andere sind ihr ein Geheimnis, ein im strengsten Wortsinne Unentdecktes, Verborgenes geblieben.

Der Entbergung gegenüber als resistent erwies sich bis dato das neben den Stern-Hitler-Tagebüchern bestbetonierte Mysterium des deutschen Journalismus, die „Liste von zu meidenden und nur nach genauer Überlegung zu verwendenden Wörtern und Wendungen“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Hier und heute aber vermögen wir erstmals die Schleier anzuheben und unter die Röcke der Redakteure zu schielen. Denn uns liegt vor das vollständige und originalgetreue Ranking der 116 (in Worten: einhundertsechzehn) inkriminierten und verfemten Wendungen, derer der gemeine federführende FAZler entbehren muss, fein und säuberlich alphabetisch sortiert, knapp, konzis und kostensparend (sechs Seiten Ausdruck, Atex-System. Verzeichnis CVD 5) kommentiert.

Anheben, Nennung Nr. 4, sei „abgegriffen“ und „richtig“ nur dann verwendet, wenn „erhöhen, wenn für Dauer gemeint“, gemeint sei, steht dort beispielsweise. Die Alternative ist keine Alternative, „eine Alternative sind immer zwei Möglichkeiten, zwei Alternativen also vier Möglichkeiten“, d’accord, während das Anliegen „abgegriffen“ klingt, wie eben anklingen abgegriffen klingt – und ist.

Ist ansprechen zweifelsfrei „Tagungsdeutsch“, wär’s treffender, statt ausräumen „besser: beseitigen, überwinden, entkräften“ zu schreiben. Weshalb? Weil auch liquidieren „bei Menschen: unmenschlich“ geheißen wird; „allenfalls im bolschewistischen Sinne in Anführungszeichen“ zu gebrauchen desgleichen unvermindert die BRD als „Propaganda-Abkürzung der DDR“, korrekt: „Bundesbürger, bundesdeutsch“. Und grundgesetzlich grundsätzlich gilt: „Bewohner der Bundesrepublik, sonst: Deutsche“.

Deutsche und ihr Deutsch: Hier finden sie ein profundes und gottseidank nun nicht länger geheimes Refugium des nicht kontaminierten Ausdrucks, einen verbindlichen Leitfaden des „Wie sage ich’s richtig?“, eine Fibel des fehlerfreien Fabulierens. Das unschuldige Verb bedingen etwa werde „so gut wie immer falsch gebraucht oder dann, wenn der Autor nicht genau weiß, was Voraussetzung, was Folge ist; besonders hässlich in Fügungen wie kriegsbedingt, konjunkturbedingt, saisonbedingt“ und verletzungsbedingt. Bekanntlich überflüssig, nämlich „in der Regel überflüssig und anmaßend“ deucht bekanntlich, während „in der Regel“ laut Liste offensichtlich kein „Massenwort“, kein „Papierdeutsch“ oder „Politiker-Jargon aus der Parteitagsdemokratie“ dar-, sondern eleganteste FAZ-Bildungsbürger-Idiomatik bzw. Gewandt- und Gewitztheit unter Beweis stelltgeht man einmal davon aus, dass letzten Endes nicht „Ausdrücke sprachlicher Verlegenheit“, sondern fraglos bloß solche des Anti-„Amerikanismus“ und genetischen Volksdeutschs gern gesehen werden.

Dass die Gretchenfrage, der Erfüllungsgehilfe, der Einsatz, die Initiative, das Problem, der Sektor und der Sessel (des Herausgebers?) auf wenig Gegenliebe stoßen, leuchtet ein. Obendrein die „allzu handgreifliche Metapher“: Herausstellen kann kein kerniger Kopf dulden, das versteht sich von selbst („besserwisserisch“). Warum indes erneut abgegriffen und bereits nicht griffig und unschön sei („schon ist schöner“), mutet schon sehr rätselhaft an, wenn nicht gar vulgär – gleich dem Topos über die Bühne gehen.

Tadellos wandelt der FAZ-Redakteur seit jeher auf dem Parkett der Schriftsprache. Er bittet zur Kasse, bis die Schwarte kracht, kontert laufend Kontrahenten aus, macht aber dermaßen Nägel mit Köpfen, dass der US-Präsident inkorrekt „der amerikanische Präsident“ genannt und die Weiche zu Gunsten einer Wachablösung der Phrase geregelt wird, die Klischees voll und ganz vom Tisch gebracht und weltweit weg vom Fenster sind.

„Abkürzungen (...) dürfen im Blatt nicht vorkommen“, befiehlt der anonyme Spitzensprachreiniger und fegt „zur Erinnerung“ einige verheerende Fauxpas zusammen: „Gefolgt von ist falsch (auch wenn Thomas Mann und andere diese Wendung benutzen).“ Der Lübecker will sich, hört man, künftig am Riemen reißen, und zumal Karl Kraus soll seine Verteidigung des „zumal (da)“ unwiderruflich widerrufen.

Die List des Zeitungsmachens bedarf der Liste, um die Tücken der Sprache zu überlisten. Darauf einen Müller-Vogg! JÜRGEN ROTH