Ladylike und beinhart

Ruth Wagner überstand den Sonderparteitag mit nervöser Contenance. Auch Gegner zollten der hessischen FDP-Vorsitzenden Respekt

Unverrückbar sitzt Ruth Wagner auf ihrem Podiumsstuhl: 36 RednerInnen, je drei Minuten lang. Sie hält aus, unterhält sich spärlicher als sonst, während ihr in letzter Minute taktisch klug lancierter Kompromissantrag Nr. 7 b mehr oder minder moderat zerrupft oder befürwortet wird. Nur manchmal braucht sie etwas zum Festhalten, greift zum Glas, nippt in immer kürzeren Abständen an ihrem Mineralwasser, applaudiert plötzlich einsam – und hält dann erschrocken inne.

Erst am Schluss klingt sie wieder wie eine Fanfare: „Heute hat die FDP Hessen gewonnen. Ich bedanke mich bei Ihnen!“ Und bei der „Regie“, die ihre eigene gewesen ist. Wagner hat den regionalen Nerv der FDP getroffen: „Wir lassen uns nicht reinregieren!“ So ist ihr der Spagat gelungen, vorerst mit Koch an der Regierung zu bleiben und dabei dennoch gegenüber der Berliner Parteispitze auszusehen, als habe in Rotenburg ein kleines gallisches Dorf gegen die Römer gesiegt, mit Ruth Wagner vorneweg: Majestix und Gutemiene in einer Person.

Alles fokussiert sich: Keine Sieger, keine Verlierer, weiter Freundschaft mit Wolfgang Gerhardt, aber doch Loyalität zu Roland Koch und damit für die Zukunft die unausweichliche Verstrickung in die CDU-Machenschaften, die eben nicht die eigenen waren und sind. Ruth Wagner kriegt das alles irgendwie zusammen. Oder eben, Standardcharakterisierungen der letzten Wochen: einmal Mutter Beimer, dann wieder die Eiserne Lady aus Wiesbaden.

Einerseits ist Ruth Wagner eine bescheidene Person. Wenige Tage zuvor hatte sie sich ganz unauffällig unter das Publikum der Talkshow „Vorsicht, Friedman!“ gemischt und an der Garderobe vorsichtig gefragt: „Ich bin Frau Wagner. Darf ich hochgehen?“ Darf sie, schließlich ist sie die Hauptdarstellerin. Andererseits gilt sie unter der Decke als „beinhart“. Und manchmal verrutscht ihr die Fassade. Dann ist Schluss mit Ladylike. „Arschloch!“, entschlüpfte ihrem immer dezent rosa geschminkten Mund am Rande einer Plenardebatte gegenüber dem grünen Landtagsabgeordneten Tarek Al-Wazir.

Sie habe andere „Vorstellungen vom Lebensglück“, sagte sie im Vorfeld des Sonderparteitages immer wieder, als an ihrem Amte zu kleben, das ihr doch nur eine „Pflicht“ sei. Nur einmal, zu Beginn der Schwarzgeldaffäre, war in einem Fernseh-Interview noch etwas anderes angeklungen – etwas von harter Arbeit und Verzicht für den Aufstieg, etwas davon, wie sie und ihre Parteifreunde zusammen mit der CDU die harten Zeiten in der Opposition durchgestanden hätten. Damals habe sie einen Kredit aufgenommen, „um nicht wieder in den Schuldienst zu müssen“. Später wird sie an dieser Stelle immer wieder sagen: „Ich war gerne Lehrerin.“ HEIDE PLATEN