Licht an!

Strom für Deutschland: Beate Binder hat eine Symbolgeschichte der Elektrizität geschrieben

Von NADINE LANGE

Barbusig und mit wehender Lockenpracht fliegt die Lichtgöttin durch den nächtlichen Himmel. Mit der rechten Hand hält sie eine kleine Lampe über ihren Kopf, die durch zwei Kabel mit der Batterie in ihrer linken Hand verbunden ist. Die gleißende Helligkeit der Lampe lässt sogar die Sterne ringsum verblassen. Ludwig Kandlers Illustration „Das elektrische Licht“ von 1883 gehörte zum populären Bildgut des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Elektrizität wurde damals gerne allegorisch als göttliche Kraft, häufig in Gestalt einer strahlenden oder blitzenden Frau gezeigt. Uneingeschränkte Bewunderung der neuen Technik sprach aus derartigen Abbildungen.

Beate Binder hat für ihr Buch „Elektrifizierung als Vision“ analysiert, wie Familien- und Satirezeitschriften, Fachblätter und moralische Wochenschriften Elektrizität beschrieben und bewerteten. Sie skizziert die Visionen, die Hoffnungen und die Kritik, die der neue unfassbare Stoff auslöste. Außerdem zeichnet sie ein Bild davon, wie Elektrizität von 1880 bis 1930 genutzt wurde.

Strom war vom Ende der Siebzigerjahre jenes Jahrhunderts an ein wichtiges Thema für die Presse, die zunächst fast nur über das elektrische Licht berichtete. Begeistert schrieben Journalisten über die aufwendigen Illuminationsspektakel, die an nationalen Feiertagen vor allem in Berlin stattfanden. Tausende waren auf den Straßen, wenn an einem Sedantag (zur Feier des Sieges über Frankreich) der Rathausturm beleuchtet wurde oder bei einer Kaiserfeier die Siegessäule „von elektrischer Flamme bestrahlt in goldenem Glanz“ strahlte. Bei Bällen und in Theatern gehörte elektrisches Licht bald zur Grundausstattung. Auch Geschäfte, Cafés und Hotels warben leuchtend für sich – Glühbirnen als Prestigeobjekte. Das elektrische Licht sah aber nicht nur fantastisch aus, sondern war auch ungefährlicher, sauberer und heller als die sonst üblichen Gaslampen.

Binder konzentriert sich auf die kulturhistorische Darstellung ihres Themas. Technische Aspekte bleiben weitgehend ausgeblendet, wodurch ihr Buch auch für physikalisch Ahnungslose zu verstehen ist. Der Nachteil: Manchmal wäre etwas mehr Erklärung hilfreich. So ist in den Anfangskapiteln oft von „Bogenlampen“ die Rede – ein Ausdruck, der heute nur aus dem Bereich des Fußballs bekannt ist. Gerne hätte man auch genauer erfahren, wie es die Elektrotechnikpioniere schafften, Strom über weite Strecken zu leiten.

Die Berichterstattung über Elektromotoren – die zweite wichtige Anwendung der neuen Technik – lag im Schatten der Lampeneuphorie. Die Motoren waren weniger glamourös, und es gab zunächst keine vergleichbar einleuchtenden Anwendungen. So setzte sich etwa die elektrische Straßenbahn erst gegen die Pferdebahn durch, als ab der Jahrhundertwende immer mehr Verkehr auf die Straßen drängte.

Kritik am elektrischen Fortschritt war selten. In Familienblättern kam sie höchstens in Nebensätzen vor. Nur die Satirezeitschriften wie der Kladderadatsch karikierten ab und zu die vielen neuen Erfindungen. Sogar die sozialdemokratische Presse konnte sich für die Elektrizität erwärmen: Schon Marx und Engels hätten prognostiziert, dass mit Hilfe neuer Techniken und der Entdeckung neuer Stoffe der Übergang zur sozialistischen Gesellschaft beschleunigt werde, weil die Klassenunterschiede verschärft würden. Bruno Borchardt lobte 1898 in den Sozialistischen Monatsheften die neuen Apparate gar als Befreier, die „den Menschen aus einem Sklaven zu einem freien Arbeiter (...) und zu einem genussfähigen Bürger dieser Erde“ machen könnten. Getrübt wurden diese Elektroutopien jedoch von den realen Arbeitsbedingungen in den Fabriken, die die SPD-Blätter heftig angriffen: Die Arbeit wurde intensiver und dauerte länger. Manche Stellen wurden ganz wegrationalisiert.

Hier geht Binder leider nicht in die Tiefe: Sie gibt keine Zahlen oder Beispiele an, die die Folgen der neuen Technik für die Industrie beschreiben. Damit vertut sie die Chance, ihre stark auf das Bürgertum bezogene Darstellung um eine proletarische Perspektive zu erweitern.

Dafür wartet die Autorin mit einer spannende Episode frühen Ökowiderstands gegen die Elektrizität auf: Der „Deutsche Bund Heimatschutz“ organisierte einen reichsweiten Protest gegen den Bau eines Wasserkraftwerks in Lauffenburg am Rhein, weil dadurch der „wildphantastische Zauber“ der dortigen Stromschnellen zerstört würde. Die zahlreichen vom Bund lancierten Flugblätter und Artikel konnten den Bau des damals größten europäischen Kraftwerks dieser Art nicht verhindern.

Der elektrotechnische Fortschritt war unaufhaltsam – auch im Haushalt: Ab 1900 wurden noch relativ teure elektrische Bügeleisen, Föhne, Öfen und Kochgeräte angeboten. Beate Binder hat einige heute völlig obskur wirkende Anzeigen für diese Produkte in ihr Buch aufgenommen, womit die LeserInnen etwas entschädigt werden für die sehr spröde Wissenschaftssprache ihrer offenbar kaum überarbeiteten Dissertation. Eine „elektrische Heizluftdusche“ (Föhn) wird beispielsweise als ideal zum Haaretrocknen, zur Behandlung von Rheuma und zum Bettwärmen in der Krankenpflege angepriesen.

Eines der interessantesten und anschaulichsten Kapitel des Buches behandelt die Auswirkungen der „elekrischen Dienstmädchen“ auf die Rolle der Frau. Darin skizziert Binder Fragen, die vor allem frauenbewegte Kreise umtrieben: Sollen die vom Herd weitgehend befreiten Frauen arbeiten gehen? Entfremdet sie das von ihren Kindern? Ist Elektriziät also familienfeindlich?

Hundert Jahre später ist der Streit um Frauenerwerbsarbeit immer noch nicht beendet. Allerdings würde heute niemand mehr auf die Idee kommen, mit elektrischem Strom gegen Frauen zu argumentieren – Elektrizität ist selbstverständlich und allgegenwärtig. Und Thema in den Zeitungen ist sie nur noch, wenn sie ausfällt.

Beate Binder: Elektrifizierung als Vision. Zur Symbolgeschichte einer Technik im Alltag, Vereinigung für Volkskunde, Tübingen 1999, 396 Seiten, 42 Mark