Keiner will die „Box“

Zappen und Surfen per TV-Gerät ist ab sofort möglich. Das Interesse an interaktivem Fernsehen bleibt aber hinter den Erwartungen zurück

von MICHAELA VIESER

Laue Laune auf der Cebit bei den Anbietern von interaktivem und digitalem Fernsehen: Auf der weltgrößten Computer- und Elektronikfachmesse stahl ihnen der Marsch der Mobiltelefone ins Internet klar die Schau. Kaum ein Besucher hielt es lange bei den digitalen Set-Top-Boxen aus. Wie ein armer Verwandter standen sie in der Ecke, und doch weiß jeder, dass hier die Zukunft des Home-Entertainment liegt.

„Dem normalen Fernsehzuschauer ist es egal, ob er digitales oder analoges Fernsehen sieht“, erklärt ein Aussteller von Sony. „Es muss also noch mehr passieren, um den Konsumenten zu überzeugen.“ Interaktives Fernsehen zum Beispiel, das seinen Namen wirklich verdient und sich nicht auf Telefon-Hotlines,TED oder einen Hinweis auf die Senderseiten im Internet beschränkt.

Nüchterne Visionen

Aber hat der normale Zuschauer nicht schon genug Programme, von denen er sich berieseln lassen kann? Zappen bis zum Abzappeln? Den Programminhalten sind theoretisch keine Grenzen mehr gesetzt: Der US-Verlag MXG Media befasst sich gerade mit der Einführung eines „streaming media program“, das das Internet-Fanmagazin der Riot Grrls in einen TV-Kanal umwandelt. So gedacht könnte es in Zukunft für jede noch so kleinste Interessengruppe ein Fernsehprogramm geben. So weit die Vision.

Noch ist alles sehr nüchtern, was da geplant wird. Hinderlich ist vor allem, dass die für den digitalen Signalempfang und die Entschlüsselung benötigten Set-Top-Boxen der unterschiedlichen Hersteller alle mit verschiedenen Programmcodes arbeiten. Vor knapp zwei Wochen gelang allerdings mit der Einführung eines einheitlichen MHP-Standards (Multi-Media Home Platform) ein Durchbruch, der interaktives Fernsehen entscheidend vorantreiben wird.

Prinzipiell bleibt es aber bei der Frage vom Huhn und dem Ei: Solange nicht eine erkleckliche Zahl der Fernsehhaushalte eine Set-Top-Box hat, wird es keine attraktiven interaktiven Fernsehsendungen geben. Und solange es keine attraktiven Fernsehsendungen gibt, wird sich keiner Set-Top-Boxen kaufen.

Dennoch gab es bisher zwei herausragende Modelle fürs interaktiveFernsehen: WebTV und Tivo. WebTV steht für Fernsehen mit Internetzugang. Der Nutzer ist über sein TV-Gerät und nicht den PC im World Wide Web unterwegs: E-Mailen und E-Commerce von der Couch aus.

Teleshopping per Mausklick

Richtig befriedigend ist dies aber noch nicht, denn wer will sich beim TV-Konsum schon ein Keyboard zwischen die Knie klemmen. Doch zumindest die Werbeindustrie findet WebTV schon jetzt Klasse: Wer bei „GZSZ“ das Kleid von Lara ganz reizend findet, könnte theoretisch per Mausklick gleich bestellen.

Tivo steht für personalisiertes Fernsehen und wurde 1999 in den USA zum Produkt des Jahres gekürt. Bei Tivo kann die Set-Top-Box laufende Sendungen speichern: Hier sind auch Anrufe während der „Tagesschau“ erlaubt, denn Tivo nimmt die verpassten Sendungsteile bis zu sechs Stunden lang auf.

Auf der Cebit präsentierte Sony jetzt erstmals sein i.Link Homenetwork, das WebTV und Tivo mit einander verbindet. Mit einem einfachen Stecker lassen sich sämtliche Geräte miteinander verbinden, alles wird mit allem kompatibel: PC und TV-Gerät, Camcorder und Stereoanlage. Jetzt kann man sich Internet-Spiele auf den Fernsehbildschirm ziehen und sich so gleich an die Set-Top-Box gewöhnen.

Doch was die interaktive TV-Zukunft genau bringen wird, wissen selbst die großen Drahtzieher nicht. Denn bis die „Box“ zum neuen Massenmedium wird, muss erst einmal geklärt sein, ob die mehrheitlich berieselungsbegeisterten Fernsehzuschauer überhaupt (inter-)aktiv werden wollen.