ISRAELS KABINETT BESCHLIESST DEN RÜCKZUG AUS DEM SÜDLIBANON
: Abschied von nahöstlicher Kriegslogik

Krieg führen lohnt sich. So lautet – scheinbar – die Lehre aus dem israelischen Kabinettsbeschluss, den besetzten Süden des Libanon bis zum Juli zu verlassen. 15 Jahre nachdem die Israelis etwa 10 Prozent des Nachbarlandes als „Sicherheitszone“ okkupierten, hat die libanesische „Partei Gottes“ die Besatzer wieder herausgebombt. Ausgerüstet mit Katjuscha-Raketen und dem festen Willen, den Feind zu vertreiben, machte die Schiitenmiliz das Gebiet für die Israelis zur „Unsicherheitszone“. Der einstimmig gefasste Regierungsbeschluss ist deshalb Eingeständnis einer Niederlage. Aber nicht nur. Bei aller militärischen Schmach bleibt auch ein taktischer Triumph der Israelis.

Der Abzug ist Teil des syrisch-israelischen Verhandlungspokers – und jetzt ist Syrien am Zug. Seit Jahren führen Israel und Syrien im Libanon einen Stellvertreterkrieg. Neben den israelischen Soldaten stehen auch 30.000 syrische Soldaten in dem Land – ebenfalls eine Besatzungsarmee. Die Staatsführung in Damaskus betrachtet den kleinen Nachbarstaat als Vorgarten, in dem sie tun kann, was sie will. Weil Staatschef Hafis al-Assad den von Israel besetzten Golan zurück haben will, aber weiß, dass dies unmöglich militärisch zu erreichen ist, unterstützt er die Hisbullah. Umgekehrt richten sich israelische Bombardements von Stellungen der Schiitenmiliz indirekt immer auch gegen Damaskus. Israelische Flugzeuge dringen weit in den Libanon vor, attackieren Ziele in Beirut und der Bekaa-Ebene, den Hauptstützpunkten der Syrer. Besatzer bekämpften Besatzer im besetzten Land. Leidtragende dieses nach nahöstlicher Kriegslogik geführten „Spiels“ ist die libanesische Zivilbevölkerung.

Mit dem israelischen Rückzug aus dem Süden des Landes verlöre Assad nun seine Trumpfkarte. Die Hisbullah gen Jerusalem marschieren lassen kann er nicht. Die Truppe hat nur die Befreiung des eigenen Landes auf ihre Fahnen geschrieben. Felsendom und Al-Aksa-Moschee den Zionisten zu entreißen, das sollen doch bitte die palästinensischen Brüder übernehmen. Inzwischen hat sich die Mehrheit der Gruppierung zu einer politischen Partei gewandelt, die aus der libanesischen Gesellschaft nicht mehr wegzudenken ist. Je weiter die einstige Guerilla diesen Weg beschreitet, desto geringer wird der Einfluss der einstigen Protektoren Syrien und Iran. Verliert Assad nun seine Stellvertreterfront, wird er sich wohl oder übel auf ernsthafte Verhandlungen mit den Israelis einlassen müssen – und auf Zugeständnisse. Eine militärische Option hat er nicht mehr. Denn das israelische Kabinett hat am Sonntag ein Stück der nahöstlichen Kriegslogik durchbrochen. THOMAS DREGER