Der gekaufte Mann

Sie ist in einem Alter, in dem man viel mit demselben oder selten mit wenigen schläft

von ANNA KREMER

Ihr Name ist Katharina Werner. Ihre Freunde nennen sie anders. Sie weiß, warum sie das machen, aber das tut nichts zur Sache. Sie ist 37 Jahre alt, was ihre Freunde bezweifeln. Ein schwieriges Alter. Weil man entweder viel mit demselben oder selten mit wenigen Männern schläft.

Sie hat ein kleines Auto, eine Perlenkette, ein breites Bett und ein schmales Aktiendepot. Sie liest Fitnesszeitschriften. Sie bringen sie in Rage. Überall erzählen hübsche, gut gebaute, breit lachende junge Menschen, wie einfach es ist, mit anderen hübschen jungen Menschen immer und überall erfüllten Sex zu haben. Sie ist nicht mehr richtig jung und eher breit gebaut. Sie hat Sicherheit, Zärtlichkeit, regelmäßigen Sex.

Heute will sie einen anderen Mann. Ihre Libido ruft. Sie führt sie ins Internet spazieren. Aus der Kiste blinzelt ihr Supermario entgegen. 24, dunkles, gegeltes kurzes Haar, kraus gezogene Stirn, ein Lachen, das sich nett um die Nase kringelt. Anders als die anderen Fotowebjungs. Irgendwie natürlicher. Klar kann man auch auf seinem Bauch Möhren raspeln, ihm wachsen aber nicht so ordinäre Muskeln von Armen und Beinen. Das gefällt ihr. Den würde sie kaufen. Wenn er nur nicht so unflexibel wäre. Supermario empfängt nämlich nicht, er besucht nur in Haus oder Hotel. Das findet sie nicht gut, mag nicht, dass der Liebesdiener gleich die ganze Wohnung kennen lernt. Es ist ihr auch zu teuer für einen Typen, den sie nicht kennt, auch noch ein Hotel zu zahlen.

Ein Bordell für Frauen wäre fein. Eine Oase der Lüste, bewohnt von gut gebauten jungen Männern. (Ein paar ältere dürfen auch dort sein.) Preisfrage: Wo steht dieses Etablissement? Antwort eines Bekannten mit einschlägigen Erfahrungen: brauchst du nicht. Stell dich an die nächste Bar. Frauen kriegen doch immer einen ab. Ihr ist aber nicht nach Augen-rollen-ach-wie-bist-du-nett zumute. Sie will auch nicht den ganzen Abend und die halbe Nacht auf Loverschau gehen.

Sie hat gehört, dass es im Hamburger Puff „Pascha“ eine Etage für Frauen geben soll. Sie ruft dort an. Nee, die Frauenetage gibt’s nicht, wollten wir mal, der Chef hat’s durchgerechnet, es lohnt sich aber nicht, flötet ein Türsteher in den Hörer.

Nicht, dass sie jetzt betrübt wäre. Männer bieten sich an vielen Stellen an. Sie läuft zum Kiosk. Sechs Seiten Profis. Allerdings sind nur 29 Angebote für Frauen dabei. Und nichts für sie. Weder der „versaute Top-Akademiker“ noch der „sportl. geb. junge Boy, 39“ arbeiten in einem Studio. Alle Kerle bitten um häusliche Aufnahme. Spinnen die? Kein Wunder, dass die weibliche Nachfrage nach käuflichem Sex seit Jahren nicht in Schwung kommt.

Nur einer scheint zu wissen, wie es läuft. Andy ist preiswert: 100 Mark pro Stunde, inclusive Zimmermiete. Andy sagt, er stehe zwar gerade im Museum, würde aber auf der Stelle in sein Vertragshotel gehen, wenn sie wollte. Leider spricht Andy am Telefon wie die Sorte Mann, die ständig auf dem Baugerüst lebt. Vergiss es.

Sie sieht sich schon voller Hingabe ein Buch lesen, da lacht es sie an: Unser Institut dient Körper, Geist und Seele mit Massagen und Tantra. Das Inserat klingt nach Tankstelle mit Superemotionsdiesel, nach Wellnesscenter für Lowsex mit angeschlossener Egopflege.

Es ist kurz nach halb neun. Sie ist sofort losgestürmt, als der Mann am Telefon sagte, es sei ein Kollege da, der auch Frauen behandelt. Sie steht vor dem Körperinstitut im ersten Stock. Und jetzt das. Sie läutet und wartet und läutet und wartet und ist schon einen halben Absatz tiefer, als endlich jemand die Wohnungstür öffnet. Vielen Dank, sie ist schon halb bedient.

Sie folgt dem schmalen Körper mit den schwarzen Locken über den braunen Teppichboden in ein Eckzimmer. Holzlamellen, soweit das Auge blickt. Die Wohnidee der späten Siebzigerjahre. Unter der Decke bläht sich ein Segeltuch. Japanische Schiebeelemente versperren den Blick durchs Fenster. Der Klatschmohn in der Vase ist bestimmt nur deswegen so blassrosa, weil er kein Licht abkriegt.

Die schwarzen Locken reden. Über die Gesellschaft, die die Sexualität bestimmt. Über Tantra: eine stilvolle Art der Liebe, die die Lust weckt, die in dir steckt, hat nichts zu tun mit dem Instantsex einer geklauten Nacht. Ist weit entfernt vom schnellen Fick in der dunklen Bar. Die Locken preisen einen neuntägigen Orgasmuskurs an. Meine Güte, wo ist sie? Links unten fehlt Surand ein Zahn. Wenn er lächelt, lachen seine grünbraunen Augen, und sein Mund wird breit. Sie bleibt.

Er schickt sie in die Sauna. Graue und weiße Kieselsteine bedecken den Boden des kleinen Holzverschlags. Sie hat sich warm geschwitzt und kalt abgebraust. Sie war nicht aufgeregt und hat an nichts Besonderes gedacht. Auch jetzt denkt sie nicht viel. Sie liegt auf einem gelben Leinentuch am Boden, bäuchlings. Wenn sie durch ihr linkes Auge linst, sieht sie viele Kerzen auf einem halbrunden Ständer. Eine schwere Frauenstimme singt orientalische Arien. Die Duftlampe brennt.

Seit sie diesen Raum betreten haben, schweigen die schwarzen Locken. Surand spreizt ihre Arme und küsst ihr die Fingerkuppen. Erst links, dann rechts. Sie erinnert sich. Vorhin hatte er von Verehrung für den Anderen gesprochen, davon, dass guter Sex nur ohne Egoismen zustande kommt. Dass es nicht darauf ankommt, zu nehmen, sondern zu geben. Sie hofft, es gefällt ihm. Dann fängt er an, sie zu streicheln. Sie vermutet, auch dies ist ein Zeichen für irgendetwas und wundert sich nur mäßig, wie einfach sie sich darauf konzentrieren kann. Er ist nackt, aber nicht erregt. Seine Berührungen sind keine Lust, keine Leidenschaft. Sie sind aus Seide. Sie umwehen ihren Rücken, den Nacken, die Beine, bauschen die Haare. Sie registriert: Suran träufelt warmes Öl in die Kreuzbeinkuhle. Es rinnt ihr die Flanken entlang. Er fängt es auf und verteilt es auf dem Po, dabei rutscht er mal zwei, drei Finger tiefer. Sein Streicheln fühlt sich so unabsichtlich an. Sie liegt ganz still, ist die Echse in der Sonne.

Nach und nach gießt er mehr Öl auf Rücken, Bauch und Brust. Sie wird zum glitschigen Körper. Die orientalischen Koloraturen schrauben sich in die Höhe.

Diese Stunde ist eine Performance.

Sie reden kein Wort. Sie weiß, dass ihr Performer nicht aus der Rolle fallen wird. Nichts wird ihn ablenken. Er kümmert sich um nichts anderes als um ihre Lust. Seine Nacktheit ist ihr keine Verpflichtung. Seine Haare berühren sie, sein Zunge, seine Zähne. Sie spürt seine Haut. Sie fühlt seinen Körper, und auf eine gewisse Weise auch nicht, hat kein Verlangen, ihn zu greifen. Er drängt sich nicht auf. Suran ist Profi. Er hat es nicht eilig. Er weiß, wie er die Zeit hinauszögern und die Spannung halten kann. Seine Finger spielen, stoppen, um dann fortzufahren.

Sie macht sich um nichts Gedanken. Er legt sich für einen Moment neben sie, um sie alleine zu lassen. In ihrem Haar klebt Öl, sie schnuppert an sich und riecht keinen fremden Geruch. Niemand war bei ihr.

Sie zahlt für die traumhafte Reise durch ihre anatomische Landschaft. 180 Mark, ohne Trinkgeld. Zwei Stunden im heimischen Bett würden zwischen 250 und 300 Mark kosten, ohne Fahrgeld. In der Umkleidekabine hängt eine Preisliste. Wer fünf Massagen bucht, erhält Rabatt. Zudem kann man Body-Glide-Öle kaufen, die außergewöhnlich gleitfähig sein sollen, frei von jeglichen Konservierungsstoffen, und die sich ideal zur Verwendung mit Latexprodukten eignen. Wer möchte, kann auch Lunatonic haben. Was das sein soll, hat sie nicht gefragt. Sie geht zur U-Bahn.

Sie heißt Katharina Werner, ihre Freunde nennen sie anders, und sie hat sich gerade zum ersten Mal in ihrem Leben einen Mann gekauft. Man sieht es ihr nicht an. Sie hat ein Mobiltelefon, ein Fahrrad, ein Ledersofa. Es ist nicht so, dass sie sich Männern gegenüber überlegen fühlte. Sie hat jetzt ein kleines Ass im Ärmel. Das macht sie ein bisschen weniger neidisch auf die Kerle, die ins Bordell gehen können. Sie kennt einen Lustgarten in Berlin. Das ist nicht schlecht für den Sex.