Faust im Nacken

Warum es in Boxer-Filmen ums Ganze geht, das zugleich das Unwahre ist. Das Metropolis gibt vier Antworten  ■ Von Kay Sokolowsky

Es gibt nicht viele Berufe, die es zu eigenen Kinogenres gebracht haben. Polizisten und Privatschnüffler, Cowboys, Soldaten, Gangster. Ach ja: Serienmörder! Lauter männlich dominierte, von Machoproblemen und -ritualen überwucherte Berufe also; neurotisch überfüllt durch „ungeschriebene“ Gesetzen ebenso wie mit einer latenten Angst vor allem, was „weiblich“ ist – und das bedeutet unter echten Kerlen: kompromissfähig, aussöhnend, „weich“. Niemand jedoch stellt seine hypertrophierte Männlichkeit und seine permanenten Zweifel daran deutlicher, archaischer aus als der Boxer.

„Der Fortschritt, wo es ihn gibt“, schreibt Jan Philipp Reemtsma in seiner, übrigens famosen, Muhammad-Ali-Monographie Mehr als ein Champion (Klett-Cotta 1995), „ist einer weg vom Hauen-ins-Gesicht.“ Sehr wahr, und doch dürfte es gerade das Atavistische, Vor-Zivilisatorische des Boxens sein, das neben Dichtern wie Brecht, Camus und Mailer zumal Filmautoren immer wieder magisch angezogen hat. Die symbolischste und handfesteste aller Sportarten zugleich – zwei Kerle im Seilkäfig vor einer blutgeilen Meute, angetreten, sich entweder total zu entehren oder einsam den Sieg zu genießen, nichts als Bewegung, Lärm und die Agonie des Fleischs, dazu die allerherrlichsten Kunstlicht- und Trockeneiskon-traste: Es ist wirklich kein Wunder, dass unter den Beiträgern zum Boxfilmgenre so viele ausgewiesene Großmeister sich tummeln.

Chaplin gleich mehrmals – als guter Onkel, der er war, scheinbar abgestoßen von der Brutalität des Sujets, insgeheim aber fasziniert. Buster Keaton drehte Battling Butler und verwirklichte darin bereits 1926 die schönsten Slapstickgags, die das Thema hergibt. John Ford schuf mit The Quiet Man (1952) seinen herzwärmendsten Nicht-Western. Stanley Kubricks Debütwerk – Killer's Kiss von 1955 – war ein Boxerfilm. Elia Kazans größter Wurf, On the Waterfront (1954), erzählt von einem Fighter, der seine besten Tage hinter sich hat, noch ehe sie begonnen haben, und war, neben allem anderen, der Durchbruch für Marlon Brando.

Ihn, alias Terry Malloy, zitiert, aufgedunsen wie ein Grindwal, Robert de Niro alias Jake la Motta im explosivsten und tiefgründigsten aller Box-Spielfilme, Wie ein wilder Stier (1980). Eine Hommage und eine Erledigung im selben Moment. Wer eine Retrospektive dieses Kinogenres veranstaltet, so wie derzeit das Metropolis, kommt, mag die Zahl der Kandidaten auch ziemlich riesig und der vorhandene Platz noch so beschränkt sein, an Martin Scorseses Meisterwerk nicht vorbei. Gleich einem Katalog der Gattung versammelt es alle Motive, thematische und optische, die der Boxer-Film entwickelt hat, huldigt ihnen und reißt sie in Stü-cke, erledigt das Metier für alle Zeit, um es neu zu erfinden. Dieser geniale, monströse Film ist von solcher, hier passt das Wort, Power, so perfekt photographiert, so vieldeutig und so phantastisch geschnitten, dass es keine kleine Erleichterung für den erdrückten Zuschauer bedeutet, in einer ziemlich zentralen Szene des „Wilden Stiers“ am oberen Bildrand das Richtmikrophon zittern zu sehen.

Außerdem im Metropolis: When We Were Kings (1996) von Leon Gast, die etwas überschätzte, freilich exzellent choreografierte Dokumentation des berühmten Boxkampfes von Ali gegen Foreman in Zaire 1974. Ein Film, der aus einem – mit allen unfairen Mitteln des Marketing gehypeten – Fight ein Monument des „black pride“ machen will, vor allem aber diesen Satz von Reemtsma bestätigt: „Man sah (Alis) Boxkämpfe nicht an, weil sie etwas anderes waren als Boxkämpfe, aber weil es diese Boxkämpfe waren, waren sie etwas anderes als alle anderen Boxkämpfe.“

Rocco und seine Brüder (1960) von Luchino Visconti hat mit dem Genre allenfalls peripher zu schaffen; und Alain Delon, der dann und wann schwitzen und prügeln darf, macht mehr Figur als eine gute. Rocco markiert Viscontis Abschied vom Neorealismus hin zum Gediegenen; die besten Momente des Films (es sind leider nicht die Kampfszenen) leben von der Spannung vor diesem Stilbruch.

Big Man, 1990 von David Leland realisiert, ist der „Geheimtip“ der Mini-Retro im Metropolis. Ein technisch eher konventionelles Stück, bringt es doch auf den Punkt, wofür, warum und zu welchem Ende Box-Filme weiterhin inszeniert werden dürfen: nämlich um vorzuführen, wie „eine eigenartige Persönlichkeit (...) sich eines Genres bedient, um sich der Welt zu exponieren“ (Reemtsma).

Beim Boxen geht es ums Ganze. So auch bei Leland. Was aber daran das Unwahre ist – davon lebt und ernährt sich der Box-Film.

Big Man: 9.3., 19 Uhr + 10.3. 17 Uhr; Raging Bull: 13.3., 17 Uhr + 14.3. 21.30 Uhr + 15.3., 21.15 Uhr; When We Were Kings : 17.3., 19 Uhr + 21.3., 21.15 Uhr + 22.3., 17 Uhr; Rocco und seine Brüder: 22.3., 21.15 Uhr + 23.3., 17 Uhr + 28.3., 17 Uhr + 30.3., 17 Uhr