Schriftstellers Krise

Heute liest Jan Peter Bremer im Literaturhaus aus seinem neuen Roman „Feuersalamander“  ■ Von Ralf Poerschke

„,Es gibt so unsagbar viele Sätze', dachte ich, ,und ich habe keinen einzigen.'“ Der das denkt, scheint tatsächlich der allerärmste unter den Schriftstellern zu sein. Dabei hatte alles so idyllisch begonnen: „Ich saß unter blauem Himmel in einem Café und atmete tief die Bergluft ein.“ Hierher, in ein namenloses Städtchen am Ende einer Eisenbahnstrecke, ist Stefan gefahren – Stefan: dieser Name ist dermaßen belanglos, dass er erst im letzten Viertel des Buches das erste Mal erwähnt wird –, um seine Schreibhemmung zu überwinden. Und er will damit beginnen, seiner Romanfigur in spe Postkarten zu schreiben.

Nach und nach entdeckt sich dem Leser, dass dieser romantisch wirkende Eskapismus nichts anderes ist ein Akt tiefster Verzweiflung, vielleicht sogar eine Wahnsinnstat. Der nach Inspiration (sowie erst nach viel Kaffee und später nach viel Schnaps) dürstende Autor hat ohne eine Erklärung Frau und Kind verlassen, sich wie ein Dieb in der Nacht davongeschlichen, um eventuell erst nach Jahren zurückzukehren. Was umso befremdlicher sich ausnimmt, da er weder eine Zahnbürste mit sich führt, noch überhaupt irgendein Gepäckstück. In einem „Betrunkenen“ – wie dieser im Folgenden ausschließlich genannt wird –, der im Café zufällig seinen Weg kreuzt, vermeint er, das lebende Vorbild für seine literarischen Absichten gefunden zu haben – und mithin die Erlösung von allen Qualen –, aber es kommt viel schlimmer, nämlich umgekehrt: Unversehens schwingt sich der Schriftsteller in einem Anflug von Größenwahn zum Schicksalsgott seiner trunksüchtigen Muse auf, deren Existenz ohne seine dichterischen Worte sinnlos bliebe.

In seinem einmal mehr sehr schmalen Roman Feuersalamander seziert Jan Peter Bremer lustvoll und mit diskretem Nestbeschmutzercharme das alte Thema der Künstlerkrise. Aus einem anfangs noch realistischen Szenario entwickelt Bremer konsequent eine wild-traumatische Farce, die am nächsten Handlungsmorgen in eine für den Helden ernüchternde, für den Leser derweil beklemmende Situation mündet: Aufgewacht auf dem Sofa des Kellners, sieht er sich mit einer Handvoll Menschen konfrontiert, die ihm mit einer ausgesprochen perfiden Mischung aus widerwilligem Wohlwollen und dünkelgeschürter Verachtung begegnen – dem Landvermesser in Franz Kafkas Das Schloß gar nicht unähnlich. Bremer ermöglicht seiner tragischen Figur immerhin einen – wenngleich schmerzhaften – Ausweg: Er fährt zurück nach Hause, auf den Lippen das Versprechen, nie wieder ein Wort zu schreiben.

Der Vergleich mit Kafka, ohnehin viel zu hoch gegriffen (ebenso wie der mit Robert Walser), führt übrigens nicht annähernd so weit, wie uns die Verlags-PR weismachen will. Die Sprache des Ingeborg-Bachmann-Preisträgers 1996 (für seinen Roman Der Fürst spricht) atmet nämlich eine ganz eigene Ökonomie, die stupend durchgehalten wird: Bei jeglicher Verweigerung einer Beschreibung von Räumen oder Personen stürzt sich Bremer nachgerade versessen auf eine exakte Choreografie der Figurenaktivitäten. Gepaart mit einem Faible für lebendige Dialoge (und Monologe), erzeugt der 35-jährige Berliner so eine Plastizität und Unmittelbarkeit, die sonst eher in einem Drehbuch steht.

Bleibt noch die Frage nach dem Feuersalamander. Ein Exemplar dieses sagenumwobenen Tieres hatte der Betrunkene, in der Absicht es zu retten, aus einer alten Fahrrinne auf eine Wiese verbracht. Am nächsten Tag lag das Reptil wieder in derselben Rinne – überfahren. Zudem war die Hand des Betrunkenen bös angeschwollen. Freilich: Mit dieser Parabel in der Parabel, wenn man so will, schlägt Bremer mächtig, aber wenig machtvoll über die Stränge. Doch wer weiß: Womöglich ist sie nur Ergebnis einer bis dato erfolglosen Suche nach einem inspiriert klingenden, aber letztendlich hohlen, allein „interessanten“ und damit absatzfördernden Titel für das Buch. Zuzutrauen wäre das diesem klugen und sicher bald großen Erzähler. Mögen ihm die Sätze nicht ausgehen.

heute, 20 Uhr, Literaturhaus; Jan Peter Bremer: „Feuersalamander“. Roman. Berlin-Verlag, Berlin 2000, 112 Seiten, 28 Mark