ein ehrenwort für die öffentlichkeit von CORINNA STEGEMANN
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Ich habe mich entschlossen, mein größtes Geheimnis dem Menschengeschlecht preiszugeben, in dem Vertrauen, Erdengäste zu finden, die Ähnliches selbst schon erlebt haben und mein erstaunliches Erlebnis bestätigen können. Hier und jetzt gebe ich vor der Öffentlichkeit, vor Gott und vor mir selbst mein Ehrenwort, dass das, was ich zu berichten habe, tatsächlich genauso passiert ist, wie ich es berichten werde: Ich saß inmitten der Nacht zu Hause. Erst nach und nach drang in mein Bewusstsein, dass offensichtlich schon seit längerem bizarres Krakeelen aus dem Garten des Nachbarhauses meine Andacht schwächte. Ich horchte etwas genauer hin. Da war ein Humpenscheppern und Gegröle, dass es nur so eine Art hatte, sehr befremdlich und skurril, beinahe schon grotesk. Also erhob ich mich, öffnete mein Fenster und spähte hinaus. Was ich dort im Garten des Nachbarhauses erblickte, ließ mir fast die Luft gefrieren und nahm mir das Blut: Mitten im dicksten Schnee saßen um ein großes Lagerfeuer versammelt im Garten des Nachbarhauses – ZWERGE!!! Fassungslos verfolgte ich das ausgelassene Treiben dieser ... dieser – ich dachte immer Märchengestalten –, die offensichtlich ein unter Zwergen sehr beliebtes Ritual vollzogen. Sie zählten laut im Chor: „Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins“, dann riefen sie alle noch lauter: „Hohohohohohoooohhh!!!“, und schlugen scheppernd große Kelche aneinander, die sie bald austranken. Ich weiß haargenau, dass jetzt alle denken, das waren Studenten, die da eine Party feierten, aber das war es wirklich nicht. Im Nachbarhaus gibt es keine Studenten und Partys um 23.20 Uhr, außerdem habe ich doch Augen im Kopf! Die waren nur halb so groß wie Menschen und auch irgendwie knolliger. Und sie hatten Zwergenwämse an und Zipfelmützen auf. Das waren keine verkleideten Burschenschaftler, die hätte ich sofort erkannt. Und dieses komische Gefühl, dass mich plötzlich überkam – eine Mischung aus Angst und freudiger Erregung –, dieses Gefühl macht mich so sicher, dass es wirklich echte Zwerge waren!

Ich ging auf Toilette und versuchte dann, einen Freund anzurufen, aber er war nicht da. Dann ging ich wieder ans Fenster, um zu sehen, ob die Zwerge noch da waren. Waren Sie! „Zehn, neun, acht ... Hohoho ...“ Schepper, schepper ...

Das habe ich mir noch ungefähr eine Viertelstunde lang angesehen, dann wurde es mir am offenen Fenster zu kalt. Nach einer Weile fiel mir auf, dass ich gar nichts mehr hörte, und ich sah noch mal aus dem Fenster: nix mehr zu sehen. Am nächsten Morgen sah ich noch mal aus dem Fenster: nix.

Einer der ersten Zweifler warf mir später vor: „Bist du nicht auf die Idee gekommen, die Sache vor Ort zu überprüfen?“ Klar bin ich auf die Idee gekommen. Aber die Gärten sind nur durch die Häuser zu erreichen, und ich wollte nicht mitten in der Nacht bei den Nachbarn klingeln und sagen: „Entschuldigen Sie bitte, dass ich so spät noch störe, aber ich habe gerade Zwerge in Ihrem Garten gesehen und würde mir die gern mal aus der Nähe betrachten.“ Die hätten mich doch total blöd angeguckt.