„Dann woll’n wir uns mal wiedervertragen“

Imitation statt Interpretation, Erstarrung statt Erzählung: Der Regisseur Joseph Vilsmaier hat aus Marlene Dietrichs Leben einen eingedeutschten Metamythos fabriziert. Der Dietrich kann „Marlene“ nichts anhaben

von KATJA NICODEMUS

„Oft sieht sie ganz unbeteiligt aus, als ginge alles, was rings um sie und um ihretwillen passiert, sie gar nichts an: Es geschieht ihr nicht, es passiert ihr nur.“ Franz Hessel

Einer der schönsten Texte, die über Marlene Dietrich geschrieben wurden, erschien 1931 als Porträtbändchen im Berliner Verlag Kindt und Bucher. Da war Marlene schon die Dietrich (oder war die Dietrich schon Marlene?), obwohl gerade mal 29 Jahre alt. Der Autor Franz Hessel traf sie in Berlin während einer Hollywood-Pause, sah ihr zwischen Puppenstube und Kinderzimmer beim Spielen mit ihrer kleinen Tochter zu. Trotz der Ungezwungenheit und Offenheit seiner Gastgeberin hatte er bei seinem Besuch das Gefühl, die ganze Zeit „einen reizenden Filmstreifen zu sehen“, als sei die Person Marlene Dietrich seit jeher – und vor allem: auch aus der Nähe – mit ihrer Repräsentation identisch.

Hessel begegnete dem realen jungen Menschen – und gleichzeitig schon der Legende, dem Mythos, „der Frau, nach der man sich sehnt, man, nicht der und jener, sondern jeder, das Volk, die Welt, die Zeit“.

Der Eindruck einer Ferne bei gleichzeitiger Nähe – ihre auratische Erscheinung und dann wieder ihr erstaunlich kleines Bettjäckchen, das vor ein paar Jahren in einer bombastischen Berliner Kinoausstellung ganz überraschend und verloren hinter der Vitrine hing. Der ausgelassene, leicht pummelige Liebling der „Säsonk“ gegen die streng in Façon gehaltenen Züge der späten Jahre. Und alle Ambivalenz in einem Satz von Cocteau: „Sie, deren Name wie eine Zärtlichkeit beginnt und wie ein Peitschenschlag aufhört: „Marlene ... Dietrich.“

Das Oszillieren zwischen der irgendwie vertrauten Verbindlichkeit der Schöneberger Göre und dem entrückten Unbeteiligtsein des Stars mit der blasiertesten Augenbrauenlinie der Filmgeschichte, ist wahrscheinlich die größte Herausforderung an jede Art von Film über sie. Wie geht man mit einem Mythos um, der zugleich bester Kumpel und moralisches Ideal ist? Wie stellt man ein Wesen dar, dessen fluoreszierende Erotik Gender-Crossing ganz selbstverständlich verkörperte, als es noch gar nicht erfunden war? Auf der einen Seite die paillettenbesetzte Ikone, die bei einem ihrer letzten Auftritte in der New Yorker Carnegie Hall schon in den Olymp zu gehören schien, und auf der anderen Marlenes Telefon, das ein schamloser Pariser Fotograf nach ihrem Tod in der Wohnung fotografierte: Mit Klebeband umwickelt, weil es zu oft wütend aufgeknallt wurde.

Dampfwalzen-Ideologieund neue Meta-Mythen

Nun denn: „Marlene“ – Der Film. Dass Joseph Vilsmaier mit seiner geradezu gefräßigen Vorliebe für deutsche Mythen irgendwann auch auf Marlene treffen würde, war unausweichlich. Der bayerische Regisseur brüstet sich gerne als Instinktmensch, als einer, der sich den Phänomenen vom Bauch her nähert, was sich naiver anhört, als es ist. Seit einigen Jahren betreibt Vilsmaier mit seinen Unterhaltungsfilmen ein hemdsärmelig-revisionistisches Kinoprojekt, in dem er die Geschichte jeglicher Widersprüche beraubt und als entpolitisierte Chronologie reproduziert.

So wurde „Stalingrad“ (1992) zur mimetisch bis zum letzten Beinstumpf abgebildeten Schlacht, in der sich die kleinen deutschen Soldaten – die es wie zufällig ins tiefste Russland verschlagen hatte – zwar vergeblich, aber tapfer schlugen. Die „Comedian Harmonists“ (1997), bei Vilsmaier eine Erfolgsstory, die von ein paar Schießbudennazis verdorben wird, während das gute deutsche Publikum bis zum allerletzten Konzert applaudiert und der Antisemitismus innerhalb der Band kaum mehr ein Problemchen ist.

Die genaue Abbildung einer Oberfläche bei gleichzeitiger Umgehung, Auslassung oder Verfälschung des dahinter liegenden Sinns, ist das Prinzip der Vilsmaierschen Metamythenbildung und Ideologieproduktion. Im Fall von Marlene Dietrich wird diese Dampfwalzenmethode, der man bisher bei großzügiger Auslegung noch Unbedarftheit unterstellen konnte, allerdings zum ersten Mal als methodische Umschreibung deutlich. Von der grobschlächtigen Sentimentalisierung und Vulgarisierung einer der wenigen deutschen Schauspielerbiografien, die einem wirklich Respekt abnötigen, ganz abgesehen.

Erstarrung und Eindeutschung

Als eine Art semiologische Unschärfenrelation hat Roland Barthes den Mythos beschrieben: Ein unaufhörliches Kreisen zwischen Sinn und Form, Bedeutung und Bild (im Falle eines Stars zum Beispiel das Kreisen zwischen seiner Geschichte, Persönlichkeit, Haltung etc. und seinem Imago). In dieser Bewegung ist der Mythos immer beides: willkürlich und natürlich, konkret und imaginär, gegenwärtig und leer. Man kann diesem Prozess Rechnung tragen, indem man den Mythos liest, das heißt als unentwirrbares, offenes Ganzes und damit als Präsenz akzeptiert. Sobald man auf ihn allerdings ein statisches Verfahren der Entzifferung anwendet, wird er automatisch zerstört.

Den Mythos filmisch zu lesen würde bedeuten, ihm formal und erzählerisch eine gewisse Offenheit zuzugestehen, eine assoziative Schwebe, die eine oder andere Leerstelle. Genau umgekehrt versucht Joseph Vilsmaier, Marlene Dietrichs Erscheinung perfekt zu imitieren, das heißt, er macht eine Schauspielerin zum Zeichen einer anderen. In seinem Film geht Katja Flint als Marlene, mit schweren Augenlidern und burschikosem Gang, mit blasiertem Getue und synthetischem Berlinerisch. Von Anfang an geht es nicht um Interpretation, um die Auseinandersetzung mit einer offenen Struktur, sondern um einseitige Entzifferung.

In der ersten Filmszene, einem Konzertauftritt Mitte der 70er-Jahre, ist der Unterschied zwischen Original und Double kaum auszumachen (danach kann man zwischen beiden sehr wohl unterscheiden). Einher mit dieser Inthronisation einer neuen, von unzähligen Markenartikelherstellern legitimierten Marlene geht die typisch Vilsmaiersche Bemächtigung einer Geschichte durch eine andere. Hat man sich erst die visuelle Form des Mythos angeeignet, kann man Sinn, Leben und Historie getrost über den Haufen schmeißen.

In Gestalt ihres maskenhaften Imitats holt der Film Marlene Dietrich gewissermaßen heim ins Reich. Zum Beispiel, indem er ihre Entscheidung, in Hollywood zu bleiben, als eine allein auf die Karriere gerichtete darstellt, die auch später nicht mit den politischen Veränderungen in der Heimat beziehungsweise mit irgendeiner Form von Trauer oder Zerrissenheit in Verbindung gebracht wird. Das legendäre österreichische Treffen mit den Abgesandten der Reichskulturkammer – wieder zwei Vilsmaiersche Schießbudennazis und im Übrigen die einzige Ausformung des Nationalsozialismus, der Marlene in gut zwei Stunden Film für wenige Sekunden begegnet.

Ganz unverfroren dichtet ihr das Drehbuch noch dazu die völlig fiktive große und natürlich deutsche Liebe ihres Lebens an: einen Wehrmachtsoffizier (Heino Ferch), der Freiligrath zitiert und eigentlich ein Guter ist, wie ja die Deutschen, sobald sie bei Vilsmaier konkreter werden, letztlich alle auf der richtigen Seite waren. Eine am Boden zerstörte Dietrich erfährt nach dem Krieg in Berlin, dass der Geliebte heimlich im Widerstand kämpfte und fiel.

Den Vilsmaierschen Gipfel setzt allerdings eine rührselige Szene, in der Marlene während ihres Einsatzes als amerikanische Truppenbetreuerin verlangt, zu den verletzten deutschen Kriegsgefangenen geführt zu werden. Da drückt sie einem sterbenden Jüngling die Augen zu und sagt den emblematischen Satz: „Na, dann woll’n wir uns mal wieder vertragen.“

Diese ideologische Unverschämtheit im Zusammenhang mit einer Frau, die für ihre klare antifaschistische Haltung Jahre später bei ihrer Deutschlandtournee mit Häme überschüttet und noch nach ihrem Tod in der hiesigen Presse diskreditiert wurde, hat nichts mehr mit der Naivität eines angeblichen Bauchmenschen zu tun. Fast überflüssig zu erwähnen, dass das „Marlene go home“-Kapitel im Film übersprungen wird.

Mit seiner Mischung aus hochgespülten Vorurteilen, Nachlässigkeit und freier Fiktionalisierung wirkt Vilsmaiers Film wie die kleingeistige deutsche Rache am kosmopolitischen Weltstar Dietrich. Aus der erotischen Abenteurerin wird eine flittchenhafte Nymphomanin, aus der Schauspielerin eine Karrieristin, die das private Glück opfert und prompt dafür bestraft wird. Aus der unermüdlichen Arbeiterin, die ihr eigenes Erscheinungsbild genauso wie alle technischen Aspekte des Inszenierens diszipliniert beherrschte, die cholerische Egozentrikerin. Die unendliche Arbeit am eigenen Erscheinungsbild: bei Vilsmaier das Ziehen eines Backenzahns und ein bisschen Hüpfseil springen.

Kleingeist gegendie Kosmopolitin

So wenig wie Marlene „Marlene“ verdient hat, kann ihr der Film etwas anhaben. Im Gegenteil, hat man die Maskerade hinter sich gebracht, wirkt die Dietrich noch größer und integrer. Sie steigt daraus hervor, etwa so wie in der einzigen Stelle in Franz Hessels Bändchen, bei der man merkt, dass sie auch ihm den Kopf verdreht hat. Weil sein zärtlicher, genauer Text plötzlich entfesselt losschwärmt. Deshalb müssen diese Zeilen unbedingt noch zitiert werden:

„... sie ist Gottsgeschenk und Teufelsmesse. Und wie Aphrodite aus dem Meerschaum steigt sie holdselig aus dem Schlamm der Begierden, die zu ihren Füßen stranden, sie lächelt lieb und leer in das Weltall, das an ihr zerbricht, unter ihr zerbröckelt. Und dazu singt sie mit Menschen- und Engelszungen und etwas berlinerisch: Ich bin die fesche Lola, der Liebling der Saison, Ich hab ein Pianola,zuhaus in mei’m Salon.“

„Marlene“. Regie: Joseph Vilsmaier. Mit Katja Flint, Heino Ferch, Herbert Knaup u.a. Deutschland 1999. 128 Min.