Nicht jeder ein Gewinner

Der Demokrat Al Gore und der Republikaner George W. Bush haben die Vorwahlen gewonnen. Aber Gore ist stärker und Bush schwächer als vorher

aus Washington PETER TAUTFEST

Nach aufregender Berg-und-Tal-Bahn-Fahrt, nach Zitter- und Hängepartien, Höhenflügen und Abstürzen scheint der Wahlkampf 2000 in Amerika wieder da angekommen zu sein, wo er vor einem Jahr angefangen hatte: Al Gore und George W. Bush, die von ihren jeweiligen Parteiorganisationen bestimmten Präsidentschaftskandidaten, werden den Kampf um das höchste Amt der USA und das wohl mächtigste der Welt im November miteinander ausfechten.

Dennoch ist die politische Landschaft nicht mehr dieselbe. Der Vorwahlkampf, der die Auswahl der Kandidaten den Parteiapparaten aus der Hand nehmen und den Wählern übergeben soll, hat die Kandidaten verändert.

Der Demokrat und Vizepräsident Al Gore geht aus der Auseinandersetzung mit seinem Rivalen Bill Bradley gestärkt, der Republikaner George W. Bush aus der mit dem erstaunlich erfolgreichen Außenseiter John McCain geschwächt hervor. Gore, der mit dem Segen des scheidenden Präsidenten Bill Clinton ausgestattet die Nominierung schon in der Tasche zu haben glaubte, hat in der Konkurrenz mit Bradley eine neue Rolle einstudieren müssen. Und er spielt sie nicht schlecht. Aus dem Vizepräsidenten wurde ein Präsidentschaftskandidat, aus einem langweiligen Politfachmann ein mitreißender Wahlkämpfer.

Bush, der als jemand angetreten war, der den Republikanern ein neues, weniger kantiges Image geben sollte, der Parteilose und Wähler der Mitte wieder in die Partei bringen könnte, ist im Wahlkampf von McCain in die rechte Ecke gedrängt worden. Zugleich aber hat Bush, der nur durch seinen Namen geworden zu sein schien, was er ist, gezeigt, dass er nationale Wahlkämpfe gewinnen und auch auf eigenen Beinen stehen kann.

Al Gore jetzt plötzlich mitreißend

Nun aber wird der Provinzpolitiker aus Texas, der in nationaler Politik kaum und in internationalen Dingen gar keine Erfahrung hat, sich mit Gore messen müssen, einem der versiertesten Politiker Amerikas, der den Senat und dessen Räderwerk so gut kennt wie die Funktionsweise des Weißen Hauses.

Bush hat seine Position um einen hohen Preis errungen. Bush ging mit drei Stärken ins Rennen: Er galt als unschlagbar, als Mann der Mitte, und er hatte 70 Millionen Dollar. Alle drei hat er verspielt. McCain hat vorgeführt, dass Bush besiegbar ist, ihn politisch aus der Mitte verdrängt. Nicht nur hat Bush sich von McCain in die rechte Ecke drängen lassen und einige seiner Wahlsiege nur mit Hilfe der „Christlichen Koalition“ gewinnen können. Er hat auch die Wähler der Mitte, die Unabhängigen und Parteilosen, die schwankenden Demokraten und die Erstwähler an McCain verloren. Und 40 Prozent der McCain-Wähler wissen noch nicht, ob sie auch Bush unterstützen werden. Sie werden womöglich entweder zu Hause bleiben, für Al Gore, den Grünen-Kandidaten Ralph Nader oder gar für den Kandidaten der nach rechts abgewanderten Reform Party Pat Buchanans stimmen. Seine in Rekordzeit gesammelten 70 Millionen Dollar hat Bush dabei ausgegeben.

Gore hingegen ist es gelungen, genau die Wähler anzusprechen, die Bradley gewinnen wollte, den linken Rand der Partei, die ethnischen Minderheiten wie Schwarze und Latinos, die Frauen und die Gewerkschaftler. Gore konnte auf die immense Popularität Clintons unter demokratischen Stammwählern setzen. Und die Protestwähler und Systemkritiker gingen nicht zu Bradley, sondern zu McCain. Etliche von ihnen werden im November für Gore stimmen.

Der nächste „Super Tuesday“, bei dem in den nach Kalifornien und New York bevölkerungsreichsten Staaten Florida und Texas gewählt wird, wird schon die Züge einer Probewahl zwischen Gore und Bush haben.

Bush nach rechts gedrängt

Die Umrisse des Wahlkampfes zeichnen sich bereits ab. Bushs großes emotionales Thema reduziert sich auf das Versprechen, wieder Anstand und Würde ins Weiße Haus einziehen zu lassen. Der Letzte übrigens, der nicht müde wurde, von der Ehre der Präsidentschaft zu reden, aber war ein Verlierer: Bushs Vater George H. W. Bush.

Mit seinem zweiten großen Thema, der Steuersenkung, hat sich Bush möglicherweise selbst eine Falle gestellt. Sein Vater scheiterte an dem Versprechen: „Achtet auf meine Worte: keine Steuererhöhung!“ Bush Junior setzte eins drauf, als er wie ein Echo seines Vaters ausrief: „Achtet auf meine Worte: Steuersenkungen!“ Nicht nur interessieren Steuersenkungen in Zeiten der Prosperität die Mehrheit der Amerikaner weniger als notwendige Reparaturen am Kranken- und Rentenversicherungssystem sowie Investitionen ins Schulwesen. Bush hat sich darüber hinaus mit seinem Versprechen selbst der Bewegungsfreiheit beraubt, mit den Haushaltsüberschüssen auch noch etwas anderes anfangen zu können, als die Militärausgaben zu erhöhen und die Besserverdienenden durch Steuergeschenke für ihre Wahlkampfspenden zu belohnen.

Gore kann auf die Erfolge Clintons bauen: auf einen noch nie dagewesenen wirtschaftlichen Aufschwung, auf ein Rekordtief bei der Arbeitslosigkeit und ein Rekordhoch bei Haushaltsüberschüssen. Gore spricht auch eins der beiden Themen an, die die Amerikaner am meisten sorgen: die Angst vor Gewalt. Bush hingegen ist just da Gefangener seiner Partei – er ist gegen jede Einschränkung des Waffenbesitzes. Gore wird Bush außerdem als jemanden darstellen können, der das Recht der Frauen auf Abtreibung einschränken will.

Die Schlacht wird aber vor allem um die Wahrung des Wohlstands geführt werden. Und da wird sich wohl die alte Regel bewähren, dass in solchen Zeiten niemand die Pferde wechseln will.