DIE GREEN CARD ERSETZT KEINE MODERNE EINWANDERUNGSPOLITIK
: Wider besseres Wissen

Kanzler Schröder ist ein Blender. Computer-Gastarbeiter, Green Card, IT – all die schönen Begriffe, die er vor Wochen in die Diskussion geworfen hat, klangen gut, innovativ und zukunftsweisend. Vergessen war der piefige Kanzlerkandidat aus Hannover, der vor zwei Jahren mit der Forderung nach schneller, rücksichtsloser Abschiebung krimineller Ausländer die Union links liegen ließ.

 Manche glaubten in den letzten Tagen sogar, der rot-grüne Kanzler hätte etwas von der Entwicklungsdynamik moderner Gesellschaften verstanden. Von der Dialektik zwischen Bildungswesen, Wirtschaftsinteressen, Migrationsdynamik und demografischer Entwicklung. Sie sehen sich getäuscht. Computer-Analphabet Schröder versteht nicht nur nichts vom Internet, auch in Fragen einer modernen Einwanderungspolitik tappt er hoffnungs- und orientierungslos in der Vergangenheit herum. Mit den Regierungsplänen zur Green Card erweist er sich als Apologet der Kapitalverwertungsinteressen. Unternehmer sind an hochflexiblen, in der Welt herumvagabundierenden Arbeitsnomaden interessiert. Soziale, gesellschaftliche und psychische Probleme, die zwangsläufig mit Migration einhergehen, interessieren ein Firmenmanagement nur am Rande. Das ist in Ordnung, schließlich ist die Profitmaximierung und nichts anderes seine Aufgabe. Von einem sozialdemokratischen Kanzler dürfte man allerdings eine differenziertere Sicht erwarten.

 Ein Rotationsmodell für Spitzenfachkräfte, eine begrenzte Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis, kein Recht auf Familiennachzug? Die Vorstellungen, die nun auf dem Tisch liegen, verlängern das armselige Konzept der 50er- und 60er-Jahre. Auch damals gaukelten die Verantwortlichen der Bevölkerung wider besseres Wissen vor, die angeworbenen Gastarbeiter blieben auf Zeit. Mit dieser Lüge erkauften sich die Politiker Zustimmung in den Betrieben und entledigten sich zugleich der Aufgabe, die Einwanderung für alle Beteiligten sozial verträglich und verantwortungsvoll zu gestalten.

 Inzwischen wissen wir, dass die Einwanderungspolitik der Vergangenheit ein Desaster war. Viele Probleme, mit denen wir uns heute herumschlagen, hätten vermieden werden können. Fazit: Auch unter Rot-Grün bleibt die Migrationspolitik Stümperei. Die Regierung verzichtet auf ein Einwanderungsgesetz und damit auf nachvollziehbare Regeln für die notwendige Zuwanderung. Was Schröder mit den nun vorgesehenen Regelungen zur Green Card erreicht: Ausländer werden weiterhin vor allem als Belastung empfunden, die man lieber kürzer als länger erträgt. EBERHARD SEIDEL