Wie werde ich Lothar Matthäus?

Im deutschen Fußball ist die Stelle als Leitwolf frei geworden: taz-Berufsberater formulieren das Anforderungsprofil für Nachfolge-Kandidaten

von MATTI LIESKE und BERND MÜLLENDER

1. Erste Voraussetzung für den potenziellen Nachfolge-Leitwolf ist die rauhe Jugend in einem Handwerkerkaff irgendwo in der Pampa. Dezenter Kleinwuchs kann früh den Kampfgeist fördern: „Ich war der Kleinste in der Schule“, erinnert sich Matthäus, „aber ich habe mich immer durchgebissen.“ Schon in der Heiligen Schrift ist vermerkt:

„Seht zu, dass ihr nicht einen von diesen Kleinen verachtet.“ (Matthäus 18,10)

2. Die frühe Hinwendung zum anderen Geschlecht stählt für alle späteren Ehen und Scheidungen. Schon mit zarten 10 tritt 1971 das Weib in Lothars vorpubertäres Leben. Claudia heißt sie und hat blondes Haar. „Wir waren alle hinter ihr her. Aber ich hab sie bekommen.“

„Und es waren viele Frauen da, die von ferne zusahen.“ (Mt. 27,55)

3. Seinen eigenen Senf gilt es jederzeit und lauthals zu allem beizusteuern, egal wie blödsinnig die eigene Meinung erscheinen mag. Das bringt zwar kurzfristig ein schlechtes Image, rentiert sich aber später durch bilaterale Pakte mit unglaubwürdigen Zeitungen. „Sogar wenn wir den Speiseplan diskutierten, quakte der noch dazwischen“, echauffiert sich schon 1980 DFB-Hilfstrainer Erich Ribbeck über den 19-Jährigen.

„Himmel und Erde vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.“ (Mt. 24,35)

4. Niemals Rücksicht auf alte Loyalitäten und Gefühle: 1984 erschüttern „Judas“-Rufe den Gladbacher Bökelberg, als LM mit seinem neuen Verein Bayern München an alter Wirkungsstätte gastiert. Der Tag der Rache endet süß für die Borussen-Fans: Mit 3:2 werden Lothar Ischariot und seine Jünger gekreuzigt.

„Der die Hand mit mir in die Schüssel taucht, der wird mich verraten.“ (Mt. 26,23)

5. Erotischen Appeal kann man nicht frühzeitig genug aufblitzen lassen. Als Matthäus im Rückspiel im Mai 1985 beim 4:0 der Bayern ein Kopfballtreffer gelingt, setzt er euphorisiert über eine Werbebande, lässt flugs die Hose verrutschen und sein blankes Gesäß sehen. Die Szene prägt sich tief in die Gemüter ein und legt den Grundstein für das Bild vom „Mann mit animalisch-sinnlicher Ausstrahlung“ (Erika Berger). Lothar selbst weiß genau: „Mein Körper ist eine Gabe Gottes.“

„Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst!“ (Mt. 15,28)

6. Das Wegbeißen aufbegehrender Platzhirsch-Konkurrenten, perfekt getimet, belegt Tatkraft zur rechten Zeit. Kurz vor Ende des WM-Achtelfinalspiels gegen Marokko im Juni 1986 entreißt Matthäus dem verdutzten Kapitän Rummenigge den Ball und trifft zum 1:0. Loddas Regentschaft hat begonnen.

Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm die Hände und Füße und werft ihn in die Finsternis hinaus!“ (Mt. 22,13)

7. Stilbewusstsein hilft, mögliche tief sitzende Knauserigkeit zu überwinden. Dabei gehört das eigene Licht stets auf dem Jahrmarkt ausgestellt. Als Matthäus 1990 zum Weltsportler des Jahres gewählt wird, kauft er sich für die Ehrung „einen Smoking von Versace für 3.500 Mark und dazu noch sauteure Schuhe“. Modesicher weiß er: „Die Schuhe müssen zum Gürtel passen.“

„Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“ (Mt. 16,26)

8. Keine politischen Aktivitäten: So wenig es sich ziemt, Niederländer als „von Adolf vergessen“ zu charakterisieren, so unziemlich ist es, sich zum gemeinen Radikalinsiki auf der Straße zu gesellen, selbst wenn es sich um Bundespräsident von Weizsäcker persönlich handelt, der ihn 1992 zur großen Demonstration in Berlin gegen Ausländerfeindlichkeit einlädt. Aber Matthäus darf nicht. „In erster Linie ist Lothar Fußballer – nicht Politiker“, hat Bayern-Trainer Erich Ribbeck scharfsichtig erkannt und beordert ihn statt dessen zum Freundschaftsspiel nach Pöcking (23:0).

„Er wird nicht streiten noch schreien, und man wird seine Stimme nicht hören auf den Gassen.“ (Mt. 12,19)

9. Rechtzeitiges Führen eines Tagebuchs hilft, spätere pathologischen Fantasien als literarisch ambitionierte Autobiografien zu verkaufen. Das im Juni 1997 erschienene Tagebuch Matthäus wirbelt viel Staub auf und leitet seine endgültige Absetzung als Bayern-Kapitän in die Wege. „Meine Maxime ist, dass man kranken Menschen helfen soll“, kommentierte Sportkamerad Thomas Helmer das Stück Weltliteratur.

„Am Abend aber brachten sie viele Besessene zu ihm; und er trieb die Geister aus durch sein Wort und machte alle Kranken gesund.“ (Mt. 8,16)

10. Hartnäckigkeit und Penetranz leisten auch abseits des Rasens wertvolle Dienste, etwa bei der Bekämpfung leicht beleidigter Bundestrainer, vor allem, wenn sich diese im Zustand fortgeschrittener Panik befinden. Bei Berti Vogts grassiert im Frühjahr 1998 verschärftes Muffensausen, denn er weiß: Wenn er Matthäus nicht mit zur WM nimmt und die Sache geht schief, dreht ihn das Blatt Matthäus durch den Leitwolf. Er habe Urlaub gebucht für die Zeit der WM, sagt das Objekt aller Spekulationen, aber: „Es gibt auch Reiserücktrittsversicherungen.“ Und so geschah es.

„Und riefen: Es ist ein Gespenst! und schrien vor Furcht.“ (Mt. 14,26)

11. Rudimentäre Kenntnisse fremder Sprachen und selbstbewusstes Heimatidiom gepaart mit Andersdaidmend zur rechten Zeit („Mai Inglisch is not ßo gutt, butt mai Dschörmän is bedder“) machen die Tore weit in der globalisierten Welt.

„Wer Ohren hat, der höre.“ (Mt. 11,15)

12. Rechtzeitiger Abgang zur baldigen Wiederkehr: Zu wissen, wann man zu gehen hat, damit man später umso glanzvoller heimkehren kann, ist eine geradezu kaiserliche Eigenschaft des Leitwolfs. Diese Prozesse sind konfliktreich und voller innere Zermarterung vorzuführen. Dann ist der Schritt über den Ozean früher oder später unvermeidlich. Bei Matthäus erfolgt er heute. Ein Abschied für immer ist es nicht.

„Wenn sie euch aber in einer Stadt verfolgen, so flieht in eine andere.“ (Mt. 10,23)

Von den Autoren erscheint am 21. März, pünktlich zu Lothars 39. Geburtstag, im Eichborn-Verlag: „Ciao Lodda – Das Buch Matthäus“. 96 Seiten, 12 Mark 80