Irish Moos – der Celtic Lover

Der Latin Lover ist tot. Es lebe der Celtic Lover: der irische Mann. Der ist grün wie seine Insel, aber nicht hinter den Ohren. Gern tut er so, als könne er kein Wässerchen trüben. Alles nur Kalkül! Eine kleine Anleitung, wie der Filou funktioniert und wie er zu nehmen ist

von JOHANNA BEHREND

Er ist höflich zu Frauen, würde niemals lügen, fluchen oder trinken. Er kann todesmutig kämpfen, zudem Schach spielen und Gedichte reimen. Er ist heroisch, romantisch, wohlerzogen, gebildet, klug und treu bis zum Tod. So was gibt es nicht? Doch, wirklich. Na ja, wenn man das Ganze nicht allzu eng sieht. All diese wunderbaren Eigenschaften gehörten nämlich zum Ehrenkodex der Fianna, einer Kriegerkaste im vorchristlichen Irland. Zugegeben, das ist ein bisschen lange her. Aber da die grüne Insel ein Land ist, in dem Traditionen nur schwerlich überwunden werden, ist da ein bisschen was hängen geblieben.

Der irische Mann ist der beste Geschichtenerzähler der Welt – allein schon aus Höflichkeit. Denn niemals würde er zugeben, dass er etwas nicht weiß oder dass er anderer Meinung ist. Lieber erzählt er eine abenteuerliche Geschichte, der man stundenlang zuhören könnte, falls man bereit ist, auf die ursprünglich gewünschte Information zu verzichten.

Auch gibt es immer noch Situationen, in denen sich der irische Mann todesmutig einsetzt. Samstagnachts beispielsweise, wenn es darum geht, nach dem Pubbesuch den Fuß aufs Gaspedal zu manövrieren, über unbeleuchtete Landstraßen ins heimatliche Dorf zu rasen, ohne der Polizei in die Hände zu fallen oder gar umzukommen. Beides passiert häufig. Zudem ein TÜV – aber nur für ganz alte Autos – erst in diesem Jahr eingeführt wurde. Irisches Roulett.

Auch Todesmut für ein vereintes Irland ist noch nicht ausgestorben. Mit Worten jedenfalls ist unser republikanischer Held immer voll dabei; in dieser Sache entwickelt er seine Fähigkeit zum Geschichtenerzählen zur vollsten Blüte. Wie sonst käme es, dass in einer Umfrage elf Prozent der Männer in der Republik den Kampf aufnähmen, in Nordirland jedoch nur ein Prozent? Dort kennt man nämlich echten Krieg, und sie haben im Grunde die Schnauze voll. Man kann dieses Ergebnis natürlich auch so interpretieren: Niemand gibt im Norden zu, dass er kämpfen würde. Eine alte nordirische Tradition besagt: Was immer du sagst, sage nichts, und streite im Zweifel alles ab.

Was sich dort zu Lande auch auf so genannte Beziehungsdiskussionen ausgeweitet hat. Wenn die Iren nicht wissen, was sie sagen sollen, und eine Festlegung verhindern wollen, lautet ihr definitives Zauberwort: I don’t mind – ist mir Wurscht oder: Wie du willst. Meinungsstärke oder eine explizite Stellungnahme, die ja einen Bruch mit der bewährten Neutralität und tatsächliche Verbindlichkeit bedeuten würde, wäre ein allzu heißes Pflaster. Es heißt gar, dass Ehen nur deswegen geschlossen würden, weil, wenn Frauen die Bitte äußern, der Mann lediglich sagt: I don’t mind.

Mit dem Fluchen nehmen es auch moderne Frauen in Irland nicht mehr so genau. Allerdings, und da wirkt der Fiannakodex noch nach, entschlüpft einem irischen Mann in weiblicher Gesellschaft niemals ein unanständiges Wort. Tut er es doch, ist er betrunken und hat somit eine prima Entschuldigung. Überhaupt sind die Entschuldigungen irischer Männer die lebhaftesten, die man sich vorstellen kann. Sie bilden die Grundlage der Literatur, in der es wiederum von Trunkenbolden nur so wimmelt.

Nun also zum Thema Trinken, das hier nur sehr verkürzt wiedergegeben werden kann. Es ist eine lange Geschichte und allzu oft beschrieben. Dennoch: Trotz aller legendären Trunksucht gibt es wirklich noch Männer, die niemals trinken. Man hört von ihnen beim Umtrunk nach einer Beerdigung im Pub, wenn irgendeine Großtante behauptet, der selige Verstorbene habe nie einen Tropfen angerührt. Die Anwesenden senken daraufhin stets das Haupt und blicken, das Schmunzeln nur mühsam verkneifend, ins Bierglas.

Nicht, dass irische Männer allesamt dem Alkohol verfallen wären. Jedenfalls nicht prinzipiell, eher aus Notwendigkeit – dank der katholischen Kirche, die Empfängnisverhütung noch immer als Todsünde verdammt. Was tut der Ire, um dieses Verbot zu umgehen? Er trinkt Unmengen Guinness, bevor er ins Bett wankt. Guinness – Völlegefühl und Blähungen verursachend, nicht zu reden vom zerstörerischen Effekt auf aufrichtende Empfindungen – war und ist des gläubigen Iren einzig legitimes Verhütungsmittel.

Lügen tut der irische Mann natürlich nie. Er erzählt nur schöne Geschichten, allesamt nach dem Motto: Möge die Wahrheit niemals einer guten Geschichte in die Quere kommen. Mit Lügen hat das nichts zu tun. Nehmen wir uns zum Beispiel einmal das Sexleben vor. Es gibt wirklich Männer, die die Einladung, noch auf einen Kaffee hereinzukommen, wortreich mit der Entschuldigung erläutern, dass sie keine unanständigen Hintergedanken hätten, und gleich ihre ganze Beziehungsgeschichte erzählen – und gleichwohl schon im Flur stehen und auf die Initiative der Frau hoffen.

Und es gibt diejenigen, die vor dem Entern der Matratze auf die Knie fallen und beten. Das kann dauern (siehe Verhütung), wenn alle Heiligen und Familienmitglieder ins Gebet einbezogen werden, und es gibt von beiden viele in Irland. In oben erwähnter Umfrage gaben übrigens acht Prozent der jungen Männer in ihren Dreißigern (!) an, dass sie noch nie Sex gehabt hätten. Unwahrscheinlich ist das nicht, angesichts so mancher Söhne und auch Töchter, die in ländlichen Regionen noch bei ihren Eltern leben und deren Idee von Liebe im gemeinsamen Kühemelken und Stallausmisten besteht. Das kann auch noch bis zur Rente andauern.

57 Prozent der Befragten gaben darüber hinaus an, mit ihrem Sexleben unzufrieden zu sein. Das mag die Kirche freuen, weil Sex ihrer Meinung nach keinen Spaß zu machen hat, geht aber vielleicht doch mehr als ein wenig an der Realität vorbei. Oder ist es vielleicht nur ein prima Vorwand, reichlich und leidenschaftlich auszuprobieren, ob die ganze Angelegenheit nicht doch etwas mehr Spaß machen könnte? Fremdgegangen wird nämlich wie der Teufel, in jedem Pub gut zu beobachten, sofern man die geheimen, augenscheinlich harmlosen Zeichen zu deuten weiß.

Da wird keine Gelegenheit ausgelassen, sein Glück nicht doch ein weiteres Mal zu versuchen. Nichts kann der irische Mann so gut wie die Unschuld vom Lande spielen und dabei an die überlegenen Instinkte der Angebeteten zu appellieren. Oder schlichtweg die Verantwortung der Frau zu überlassen. Indem er nämlich seinen gutmütigen und jungenhaften Charme solange versprüht, bis die Frau die Frage stellt: Wie wär’s noch mit einem Kaffee bei mir? Die Antwort lautet stets und wie erwartet: I don’t mind.

JOHANNA BEHREND lebt seit Jahren als freie Autorin in Irland