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: Eine politische Geschichte des Deutschen Fußballbundes

DIKTATOREN OHNE BERUFUNG

Ein bisschen Horror aus dem Internet gefällig? „Der Mitglieder-Aufschwung im Deutschen Fußballbund (DFB) findet seine Fortsetzung. In der Saison 1998/99 erhöhte sich die Zahl der Mitglieder um 94.715 auf insgesamt 6.310.948. In nunmehr 26.848 Vereinen (vorher 26.827) nehmen 173.411 Mannschaften regelmäßig am Spielbetrieb teil.“

Diese Information, die die größte Sportorganisation der Welt auf ihrer Homepage verbreitet, führt einem ein banales, aber schwerwiegendes Problem vor Augen: Wer hier zu Lande in einen Fußballclub eintritt, weil er organisiert kicken will, wird automatisch Mitglied im DFB. Und wer will das schon: Teil einer Institution sein, die nicht nur eine unrühmliche Geschichte hat, sondern mit dieser auch noch auf eine Weise umgeht, dass man es als vergleichsweise fortschrittlich empfinden muss, wie die Bundeswehr oder manches Unternehmen mit Zwangsarbeiter-Vergangenheit ihre Tradition aufarbeiten?

Die deutsche Fußballpolitik, sie ist schwarzbraun seit jeher – das belegt Arthur Heinrich, Politologe und Redakteur der Monatszeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik, in bisher einzigartiger Ausführlichkeit. Sein Buch „Der Deutsche Fußballbund. Eine politische Geschichte“ ist besonders verdienstvoll, weil er die aufschlussreichste Phase der deutschen Sportgeschichte so umfangreich erforscht hat: die Zeit zwischen 1900 und 1933.

1914 zum Beispiel, schreibt Heinrich, sei der deutsche Fußball ein „verlässlicher Multiplikator“ gewesen „im wilhelminischen Kampf um den Platz an der Sonne“. Der Norddeutsche Fußballverband appellierte damals: „Durch den Sport wurdet Ihr für den Krieg erzogen, darum ran an den Feind, auf ihn und nicht gezittert!“

Auch die furchtlosen Kicker konnten die Niederlage „im Felde“ bekanntlich nicht verhindern, doch das war für die Fußballfunktionäre kein Anlass, ihre Ideologie zu revidieren. Die meisten von ihnen hielten die kaiserliche Armee für unbesiegt, und die November-Revolution sah man als das „unrühmliche Ende“ des „in der Geschichte wohl einzig dastehenden Verteidigungskampfes des Deutschen Reiches“ (Süddeutscher Fußball- und Leichtathletikverband).

Im ersten Jahresbericht nach dem Krieg tönte der DFB: „Das Ausland hat allen Grund, die Kriegsleistung unseres Volkes hoch zu achten, und im besonderen Fall ist hier die Kriegsleistung des deutschen Fußballs aller Achtung wert.“

Als ähnlich schlimm wie den „November-Putsch“ (so Guido von Mengden, der zahlreiche Funktionen im NS-Sport ausfüllte und in der Bundesrepublik Generalsekretär des Deutschen Sportbundes wurde) empfanden die fröhlich kickenden Volksgemeinschaftsfreunde den aufkommenden „Materialismus“. Zumal der auch die „Sportbewegung“ ergriffen hatte. Mit „Materialismus“ war vor allem das zaghaft aufkeimende Berufsspielertum gemeint – eine „Entartungserscheinung“, wie Günther Riebow, nach 1945 Mitglied des DFB-Sportgerichts, 1930 im Jahrbuch des Verbandes schrieb.

Zwischen 1900 und 1933 war der DFB eine bestenfalls scheindemokratische Organisation. Der Sportjournalist Willy Meisl etwa bezeichnete die Oberen 1929 als „Diktatoren ohne Berufung und Begabung“. Das „Führerprinzip“, das die Nazis 1933 in allen Sportverbänden durchsetzten, „bediente einschlägige Phantasien der Fußballfunktionärskaste“. So überstand diese „den Transfer in nationalsozialistische Herrschaft ohne merklichen Personalwechsel“.

Nach dem Ende des Dritten Reichs war dann „Verdrängungsmehrkampf“ angesagt. Kein Wunder, denn die Aufarbeitung fiel in die Verantwortung von Fußballfreunden, die auch unter den Nazis Sportpolitik gemacht hatten. Wer in die NSDAP eingetreten sei, so die alten Wölfe im neuen Demokratenpelz, habe dies getan, um „Schlimmeres“ vom geliebten Sport abzuwenden. „Die Mitgliedschaft in der Nazipartei galt ausdrücklich als besonders beherzter Akt des Widerstands“, frotzelt Heinrich.

Davon, dass der Nationalsozialismus eine Vor- und eine Nachgeschichte hat, will man beim Verband in Frankfurt natürlich nichts wissen: Der im Jubiläumsband „100 Jahre DFB“ abgedruckte Beitrag zur NS-Zeit ist ein Bubenstück, das dem TV-Historiker Guido „Guildo“ Knopp gefallen dürfte; über die Politik des DFB in präfaschistischen Zeiten findet sich hier kein Wort.

Arthur Heinrichs Kommentar zu dieser Art von Vergangenheitsbewältigung. „Die Befassung mit Geschichte gerät so zu einer Flucht aus der Geschichte.“ RENE MARTENS

Arthur Heinrich: „Der Deutsche Fußballbund. Eine politische Geschichte“. PapyRossa, Köln. 298 Seiten, 29,80 Mark