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Der dröge Wundermann

Spektakuläres Match, 3:1 gegen Parma: Werder-Trainer Thomas Schaaf wirkt wie ein Fahrdienst-leiter der Deutschen Bahn und führt seine Elf aus dem Bundesliga-Keller ins Uefacup-Viertelfinale

aus Bremen JOCHEN GRABLER

Es ist wie beim Jahresbericht des Fahrdienstleiters vom Hauptbahnhof Uelzen. Äußerlich reichlich ungerührt blickt ThomasSchaaf in Richtung Weltpresse und nippt noch mal kurz an der Teetasse. Dann verkündet er staubtrocken: „Ich bin sehr froh, dass wir unseren Fahrplan eingehalten haben.“

Während die Werder-Fans mit hitzigen Nacherzählungen und unter Einsatz aller erdenklicher Alkoholika verzweifelt versuchen, ihren Adrenalinpegel wieder auf Normal zu bekommen, macht der Übungsleiter den Eindruck, als müsste er eine mehr oder minder interessante Trainingseinheit kommentieren. Dabei steht seine Elf im Viertelfinale des Uefa-Cups. Und hat mal eben Titelverteidiger Parma mit 3:1 aus dem Wettbewerb gefegt.

Aber so ist er eben, dieser Thomas Schaaf. Und so ist er auch nicht. Denn nach einem guten Dreivierteljahr im Amt wissen die Bremer, was sie von ihrem Trainer zu halten haben. Daum gibt den Dauersprecher, Finke den Intellektuellen, Schaaf spielt die Rolle des drögen Norddeutschen. Mit Hingabe, auch wenn er in Mannheim geboren ist. Und mit ziemlichem Vergnügen, was an den zuckenden Mundwinkeln abzulesen ist.

An der Außenlinie lässt Schaaf allerdings alle Kontrolle fahren. Als der polnische Linienrichter gleich zweimal innerhalb von fünf Minuten parmesische Angreifer trotz schwerstem Abseitsverdachts alleine in Richtung Bremer Tor laufen ließ, da musste er sich ziemlich deutlich gegen einigermaßen hautnah und lautstark vorgetragene Dauervorträge des Bremer Trainers wehren. Dass aus den Chancen keine Tore wurden – besser so für den Winkemann.

„Wir müssen nach vorne spielen“, hatte Schaaf schon Tage vor dem Match seinen Kickern eingebläut. „Was anderes können wir auch gar nicht.“ Was anderes hat die Mannschaft auch nicht gespielt, von An- beinah bis zum Abpfiff. Und die Zuschauer haben’s gedankt. Wenn sich schon das prinzipiell grundvernörgelte Bremer Publikum zu Standing Ovations hinreißen lässt, dann muss es sich um ein Wunder handeln. Handelt es sich auch. Und der Wundermann hat einen Namen: Thomas Schaaf.

Derart aggressiven und erfrischenden Hurra-Fußball hat das Bremer Publikum überhaupt noch nie gesehen. Rehhagels kontrollierte Offensive war phasenweise ziemlich erfolgreich, aber dafür über längere Zeit auch reichlich langweilig. Von Rehhagel redet allerdings niemand mehr, was allein ein ziemliches Wunder ist. Von Langeweile kann nämlich keine Rede mehr sein, seitdem im vergangenen Mai der Ex-Profi und Amateurcoach Schaaf den Chefsessel übernommen hat.

Der Frust der letzten Jahre ist vergessen. Den beinahe sicheren Abstiegskandidaten aus der vergangenen Saison hat Schaaf erstens in der Liga gehalten, zweitens bis an die Champions League herangeführt, drittens nun das Uefa-Cup-Viertelfinale erreicht, viertens zum Pokalsieg getrieben und fünftens stehen sie schon wieder im Pokalfinale gegen die Bayern.

Noch Wunder gefällig? Bittesehr: Ailton hat das Fußballspielen wiederentdeckt, Trares und Eilts erleben ihren vierten Frühling, Frings hat sich zur Führungsfigur auf dem Feld gemausert und Nobodys wie Tjukuzu, Dabrowski oder Barten spielen plötzlich zentrale Rollen. Und der sonst sopomadige Herzog liefert plötzlich wieder eine Weltklasseleistung ab. „Immer ein Tor mehr als die anderen“, sagt Schaaf. Denn dass die anderen eines schießen, das ist eh klar. „Drum müssen wir drei machen“, hatte Frank Rost bald nach dem 0:1 im Hinspiel rechenstark rausgekriegt. Genau so haben sie auch gespielt. Es lag allein am italienischen Nationalkeeper Buffon, dass Werder – wie aus einem Guss und ohne jede Schwachstelle – nicht schon nach einer Viertelstunde mit zwei Toren vorne lag. Und es lag am nicht minder großartigen Rost, dass Parma nur einmal traf. „Aber mit dem Risiko leben wir schon die ganze Saison“, sagt der Trainer und zuckt mit den Schultern. Nun gehts in der nächsten Woche gegen Arsenal. Wie Werder da spielen wird? „Nach vorne. Was anderes können wir gar nicht.“

Und wundern wird sich niemand mehr. Was das größte Wunder von allen ist.

Bremen: Rost - Frings, Barten, Baumann, Wiedener - Gabrowski, Eilts, Herzog (82. Bogdanovic), Bode (71. Maximow) - Ailton (90. Schierenbeck), Pizarro AC Parma: Buffon - Sartor, Thuram, Cannavaro - Fuser (72. Benarrivo) , Sousa (68. di Vaio), Vanoli, Baggio - Crespo, Ortega (46. Dabo), StanicZuschauer: 30.050; Tore: 1:0 Dabrowski (12.), 1:1 Stanic (32.), 2:1 Bode (44.), 3:1 Ailton (66.)Ergebnisse Uefacup-Achtelfinale:Gal. Istanbul – Bor. Dortmund 0:0 (2:0)AS Monaco – RCD Mallorca 1:0 (1:4)Leeds United – AS Rom 1:0 (0:0)Celta de Vigo – Juventus Turin 4:0 (0:1)La Coruna – Arsenal London 2:1 (1:5)Udinese Calcio – Slavia Prag 2:1 (0:1)(Hinspielergebnisse in Klammern, fett gedruckte Mannschaften im Viertelfinale)Viertelfinale (16./23. März):Arsenal - Werder; Mallorca - Galatasaray; Vigo - Lens; Leeds United - Slavia Prag

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