Blair des Nordens

Der neue Regierungschef in Oslo kommt aus einer Politikerfamilie. Sozialdemokrat Stoltenberg gilt als sympathischer Pragmatiker

Jens Stoltenberg wird Norwegens neuer Ministerpräsident – und das fast pünktlich zu seinem 41. Geburtstag. Damit erklettert der Sohn rekordjung den Sessel, den der berühmte Vater, Ex-Außenminister und Balkanvermittler Thorvald Stoltenberg, nie erreichte. Und auch nicht Mutter Karin Heiberg, die immerhin Handelsministerin war.

Bei solchen Eltern war die politische Karriere dem kleinen Jens sozusagen in die Wiege gelegt. Und Stoltenberg zögerte niemals, dieses Erbe zu nutzen. Am Anfang stand – wie es sich für einen späteren Spitzensozi gehört – eine radikale Phase. Er organisierte einen Schulstreik oder zerschmetterte die Fensterscheiben der US-Botschaft. Das war zu Zeiten des Vietnamkriegs. Nach einer vierjährigen Lehrzeit als Vorsitzender der Jungsozialisten und einem Volkswirtschaftsstudium wurde er von Gro Harlem-Brundtland 1993 als Ölminister in ihr Kabinett berufen.

Schon damals hätte sie ihn gerne als Nachfolger auf dem Posten des sozialdemokratischen Parteivorsitzenden gesehen, auf den sie selbst verzichtete. Doch die mächtige Gewerkschaftsbewegung setzte den vermeintlich besser handhabbaren Thorbjörn Jagland durch. Ein Fehler, den die Arbeiterpartei schnell bereuen sollte: Jagland erwies sich als zu schwach, um die verschiedenen Parteiflügel zusammenzuhalten. Ganz im Gegenteil zu Stoltenberg jr.: Der ist ein norwegischer Tony Blair und tritt in jedem Fernsehstudio auf, als sei er dort geboren. Die Zeit war endgültig reif für Stoltenberg, als Jagland nicht nur die letzten Parlamentswahlen, sondern auch die Kommunalwahlen im vergangenen Herbst verloren hatte. Vor einen Monat wurde der Kronprinz gerade noch rechtzeitig für den jetzigen Regierungswechsel zum Fraktionsvorsitzenden und damit zum Ministerpräsidentenkandidaten der Sozialdemokraten gewählt.

Kein Einzelfall ist es, wenn er einen politischen Termin plötzlich mit einem Blick zur Uhr abbricht: Jetzt müsse er aber wirklich endlich seine Kinder Axel und Catharina vom Kindergarten abholen. Zwei von drei NorwegerInnen, gleich welcher Parteicouleur, halten ihn für die beste Wahl an der Regierungsspitze. Und seine Partei hofft mit ihm aus einem jahrelangen Stimmungstief herauszukommen. Angesichts dieser Erwartungen ist klar, dass im Falle eines Scheiterns die Fallhöhe besonders groß wäre. Stoltenberg hat sich nämlich die politische Latte sehr hoch gelegt. Die NorwegerInnen sollen von den Vorteilen einer EU-Mitgliedschaft überzeugt werden, deren glühender Anhänger er selbst ist. Doch bei dem Punkt haben sich bei seinen Landsleuten – Charme hin, Sympathie her – schon andere PolitikerInnen die Zähne ausgebissen und das Handtuch geworfen.

REINHARD WOLFF