Du steckst nicht in meiner Haut

Wenn afrodeutsche Kinder Rassismus erleben, fühlen sich ihre Mütter oft hilflos. Dabei ist es nicht die Hautfarbe, die sievon ihren Kindern trennt, sondern es sind die unterschiedlichen Erfahrungswelten, in die sie nicht hinüberwechseln können

von VERONIKA KABIS-ALAMBA

Dennis war vier Jahre alt, als es das erste Mal passierte. Er kam vom Spielplatz nach Hause, begann sich zu kratzen und erklärte seiner Mutter entschieden, dass er seine braune Haut nicht mehr haben wolle. Julia bestand kurz vor der Einschulung darauf, sich ihr Haar glätten zu lassen, nachdem sie zuvor immer wieder erfolglos versucht hatte, die Locken vor dem Spiegel glatt zu bürsten. Ihren Müttern hat es einen Stich versetzt, denn für sie war es keine Frage, dass die braune Haut und die Haare ihrer afrodeutschen Kinder etwas Schönes und Besonderes waren.

Schlagartig wurde ihnen klar, dass es da eine andere Seite gibt, die des Kindes nämlich, das sich nach der Kleinkindphase, in der es alle „so süß“ fanden, zunehmend bewusst wird, dass es anders aussieht als die meisten anderen – wo es doch für Kinder zunächst nichts Wichtigeres gibt, als einfach dazuzugehören. Dann ist auch der Zeitpunkt nicht mehr fern, an dem sie zum ersten Mal Ausgrenzung erleben. Dennis’ und Julias Mütter haben damals gemerkt, dass es nicht damit getan ist, den Kindern ihr binationales Dasein als etwas Bereicherndes zu erklären, sie zu trösten oder sich kämpferisch vor sie zu stellen. Irgendwann begannen ihre Kinder, ihnen nicht mehr alles zu erzählen und ihnen das Gefühl zu vermitteln, sie müssten da alleine durch – auch, um ihre Mütter zu schonen.

Das Besatzungskind

Es ist eine deutliche Erleichterung unter den zehn Frauen zu verspüren, die sich beim Seminar für afrodeutsche Familien getroffen haben, als sie nach der ersten Gesprächsrunde feststellen, dass sie nicht alleine mit ihren Nöten dastehen. Und dass sie endlich einmal offen darüber reden können, ohne sich anhören zu müssen, dass sie es besser hätten wissen müssen, als sie sich entschlossen haben, Kinder mit einem schwarzen Partner zu haben. Doch es ist nicht nur der Erfahrungsaustausch untereinander, der diese Veranstaltung für die Frauen so wichtig macht. Es ist die Anwesenheit von Ika Hügel-Marshall, die den Gesprächen eine andere Wende gibt.

Ika Hügel-Marshall ist schwarze Deutsche, sie gehört der Generation der oftmals verpönten „Besatzungskinder“ an und hat mit ihrer Autobiografie „Daheim unterwegs“ (erschienen im Orlanda-Frauenbuchverlag) für Aufsehen gesorgt. Für die weißen Mütter in der Runde ist es eine einmalige Gelegenheit, offene Worte aus einer anderen Perspektive zu hören: aus der Sicht einer Frau, die all das kennt, was ihre Kinder heute erleben, und die es bewusst reflektiert hat.

Wie gehe ich damit um, wenn mein Sohn das Gefühl hat, der Lehrer habe es nur auf ihn abgesehen, weil er Afrodeutscher sei? Beschwichtigen, sich lieber ruhig halten, damit der Junge nicht noch mehr abkriegt, den Kindern vorsichtig beibringen, dass sie nicht immer alles auf ihre Hautfarbe beziehen sollen? Ika Hügel-Marshall lässt keinen Zweifel offen: „Nein, was ein afrodeutsches Kind erlebt, wie es sich fühlt – es hat immer mit der Hautfarbe zu tun. Wenn ihr es herunterspielt, bestärkt ihr nur diejenigen, die immer meinen, wir Schwarze seien überempfindlich.“

Die Mütter sind dankbar für die klaren Worte. Sie können hier aussprechen, was sonst tabu ist: ihre Schuldgefühle, die sie eigentlich nicht haben müssten, da nicht sie schuld am Rassismus der Gesellschaft sind. Die aber doch da sind, wenn die Tochter sagt, sie hätte es gewiss manchmal einfacher, wenn sie weiß wäre – aber dies zögerlich, fast entschuldigend vorbringt, als müsse sie ihre Mutter ein bisschen trösten.

Irgendwie erwarten die Seminarteilnehmerinnen von Ika Hügel-Marshall, dass sie sie freispricht von ihren heimlichen Schuldgefühlen. Ein wenig tut sie das auch: „Ich weiß, wie sehr ihr eure Kinder liebt. Und trotzdem muss ich euch sagen, dass viele schwarze Deutsche aus meiner Generation nicht gut auf euch zu sprechen sind. Ich sehe das anders, meine Mutter hat mir sehr viel gegeben, obwohl es damals so viel schwerer war als heute. Sie war völlig allein mit einem schwarzen Kind, heute seid ihr viele.“ Es scheint manchmal eine unsichtbare Grenze zwischen den Müttern und ihren Kindern zu verlaufen. „Du wirst mich nie verstehen, du steckst eben nicht in meiner Haut“, warf eine Vierzehnjährige ihrer Mutter einmal vor.

Dabei ist es natürlich nicht die Hautfarbe, die sie trennt, sondern es sind die unterschiedlichen Erfahrungswelten, in die sie nicht wirklich hinüberwechseln können. Die Kinder müssen ihre Haut immer zu Markte tragen, die Mütter genießen letzten Endes das Privileg, der weißen Mehrheitsgesellschaft anzugehören. „Manchmal erreiche ich meine Tochter einfach nicht, natürlich haben wir eine ganz normale Mutter-Tochter-Beziehung, aber es gibt einen Punkt, an dem ich ihr nicht weiterhelfen kann. Ich kann ihr sagen, dass ich sie verstehe, aber eigentlich wissen wir beide, dass das nur ein Teil der Wahrheit ist“, berichtet eine Teilnehmerin, und es spricht ein wenig Resignation aus ihren Worten.

Übereinstimmend berichten die Mütter afrodeutscher Kinder über Erfahrungen, die sie in Schulen und Kindergärten machen. Bringen sie vorsichtig am Elternabend ein, dass es Kinder oder gar PädagogInnen gibt, die rassistische Wörter gebrauchen, stoßen sie auf Empörung: „Ihr Kind muss lernen, damit umzugehen. Wenn wir ,Neger‘ sagen, meinen wir damit nichts Schlechtes.“ Doch gerade dieses Wort sitzt den afrodeutschen Familien wie ein Stachel im Fleisch.

Und was ist mit den schwarzen Vätern? Eine weitere heikle Frage. Die einen haben sich schon lange aus der Familie verabschiedet, das macht es nicht einfacher. In anderen Fällen sind es wiederum die Frauen, die auch sie beschützen wollen oder müssen – oder aber die Wut der Männer abkriegen auf die weiße Gesellschaft. Der Zwiespalt wird deutlich, denn am Ende sind die Frauen doch ein Teil davon. „Ich verstehe meinen Mann ja, aber auf einmal meine ich, die Deutschen verteidigen zu müssen“, berichtet eine Mutter, „alle sind doch nicht rassistisch. Ich werde gezwungen, Stellung zu beziehen, dabei ist es ein unmöglicher Spagat, den ich machen soll. In solchen Momenten sitze ich zwischen allen Stühlen.“

An die Kinder selbst werden viele unterschiedliche Ansprüche gerichtet. Für ihre Eltern sollen sie Botschafter, Vorreiter sein für eine tolerante, multikulturelle Gesellschaft. Sie sollen auch die Kultur des schwarzen Elternteils vertreten und kennen doch oft nur deren folkloristische Oberfläche. Außerhalb der Familie wiederum erleben sie, dass sie bestimmte Klischees bedienen und vermeintliche schwarze Talente besitzen sollen: Schwarze sind sportlich, musikalisch, schön. Glück gehabt, wenn es so ist – aber was machen die anderen, die diese Eigenschaften nicht besitzen? Für afrodeutsche Kinder ist es mitunter schwer, einfach sie selbst zu sein, immer bestimmen andere, wie sie zu sein haben.

An diesem Seminarwochenende beim Verband binationaler Familien und Partnerschaften sind siebzehn afrodeutsche Kinder zusammen. Am Abend frage ich meinen Sohn beiläufig, wo denn der Papa von seinem neuen Freund Dennis herkommt. „Keine Ahnung, ist mir doch egal“, bekomme ich zurück und fühle mich kalt erwischt.