■ Löst „eine verfassungspolitische Debatte“ die Probleme der Grünen? LeserInnen sind da eher skeptisch
: Fundamentale inhaltliche Defizite

betr.: „Dialektik der Aufklärung“ von Daniel Cohn-Bendit und Michael Altmeyer, taz vom 7. 3. 00

[. . .] Im Grunde ist es doch die alte Politikerleier: „Wir machen zwar gute Politik, wir sind besser als die andern, aber wir bringen es nicht gut genug rüber.“

Nichts könnte falscher sein.

In Wahrheit hat die grüne Partei sowie auch breiteste Teile der sog. Linken fundamentale inhaltliche Defizite. Und die heißen Ökonomie, Ökonomie und noch mal Ökonomie. Dass die Art und Weise, wie eine Gesellschaft ihre Wirtschaft organisiert, grundlegende Bedeutung auch für alle anderen Bereiche dieser Gesellschaft besitzt, ist wohl eine der wenigen bis weit jenseits des bürgerlichen Lagers unumstrittenen Hinterlassenschaften von Karl Marx.

Die Grünen scheinen dies gleichwohl vergessen zu haben. Wenn zum Beispiel der Wert ganzer Volkswirtschaften nicht mehr durch die realen Warenmärkte, im Endeffekt also durch den Verbraucher, sondern eher durch gigantische spekulative Kapitalbewegungen bestimmt wird, wenn immer mehr Geld verdient wird, ohne überhaupt einen volkswirtschaftlichen Wert zu erzeugen, indem man sich also einfach die Werte, die bestimmte Volkswirtschaften erzeugen, über die Entwertung des Äquivalents dieser Werte, nämlich der jeweiligen Währung, aneignet, dann muss dies fundamentale Bedeutung nicht nur für die Volkswirtschaften, sondern auch für die gesamten übergeordneten Wertesysteme etc. der beteiligten Gesellschaften haben. Wer keine Konzepte im Umgang mit dieser grundlegenden Infragestellung im Grunde sämtlicher tradierter – und emanzipatorischer Werte sowieso – durch den modernen Turbokapitalismus entwickelt, ja wer offenbar nicht einmal die Frage verstanden hat, der kann Politik allerdings nur als Management von Sachzwängen, die im Endeffekt durch wirtschaftliche und gelegentlich populistische Notwendigkeiten vorgegeben werden, begreifen.

Vor diesem Hintergrund missrät jeder Ansatz einer wirklich ökologischen und emanzipatorischen Politik zu einem zusammenhanglosen Gestückel aus ebenso unbeholfenen wie unglaubwürdigen moralischen, ersatzweise pseudomodernen Appellen.

Weder eine erhöhte moralische Kompetenz (CDU-Spendendebatte) noch verbesserte „Führungsstrukturen“ (Vorstandssprecherdebatte etc.) werden also das grüne Dilemma lösen können. Mit Recht. RAINER WAGENER, Heidelberg

Grüne Betonköpfe stecken denselben in den Sand . . . und warten, bis sie festgetrocknet sind. Es ist wirklich unfassbar, mit welcher Hingabe die grüne Basis, aber auch Leute wie Herr Simmert und Frau Michalik die Grünen offenbar mit aller Kraft zerstören wollen. Wie Daniel Cohn-Bendit und Renate Künast („Wir langweilen mit unserer Strukturdebatte“) vollkommen richtig analysieren, wäre der CDU-Spendenskandal eine Riesenchance für die Partei gewesen. [. . .] Dass die Grünen durch ihre lähmende Strukturdebatte eine der besten Profilierungschancen ihrer Geschichte, nämlich das Outen der CDU als käuflicher Machterhaltungsverein, nicht für sich nutzen können: egal. Das betonköpfige Festhalten an einem urgrünen Dogma wiegt halt einfach schwerer, genauso wie das Ehrenwort Helmut Kohls halt auch schwerer wiegt als Recht und Gesetz. Nehmen wir den Atomausstieg. Statt froh darüber zu sein, dass man hier überhaupt gegen die irrsinnig mächtige Atomlobby, die sich durch alle Parteien und die gesamte Wirtschaft und die Gewerkschaften zieht, etwas erreicht, wird beinhart und kleinkariert um Fristen geschachert. Statt den Menschen die irrsinnigen Chancen eines frühen Einstiegs in das Solarzeitalter zu vermitteln, wird der termingerechte Vollzug des Ausstiegsplans zelebriert. [. . .]

CHRISTOPH PALME, Tübingen

Es ist schon ein Hohn, wenn der ehemals in den vordersten Frontreihen der Nato-Balkan-Kriegsschreier aktive Cohn-Bendit angesichts des CDU-Finanzskandals nun plötzlich die „Auslotung der Tiefendimension am Skandalbdoen“ und die „Hinwendung zum Verfassungspatriotismus“ fordert, der der Schlüssel zur Lösung nahezu aller Weltprobleme sein soll: vom Atomausstieg bis hin zur gerechten Weltwirtschaftsordnung.

Und gegen alles und gegen alle Verträge haben die „Modernisierer“ (Schröder/Fischer und Co.) verstoßen und die „Nachkriegszeit“ mit diesem Nato-Angriffskrieg so beendet, dass ihnen das „Verfassungsargument“ mit Recht im Halse stecken bleiben muss. [...] HORST MÜHLENHARDT, Neumünster

„Die Berliner Republik darf nicht käuflich sein“ – so der Schlachtruf. Auch wenn die Autoren – übrigens Teil des Establishments dieses Systems – es nicht wahrhaben wollen: Sie ist es längst, wie es die Bonner Republik auch schon war. Bekanntlich beginnt die Korruption nicht mit der Übergabe mit Banknoten gefüllter Briefumschläge oder Koffer. Sie findet in dieser Form nur ihre Vollendung und ihren höchsten Ausdruck. Die illegalen Formen der aktiven und passiven Bestechung vernebeln den Blick auf das ganz normale und legale Schmieren: Meistens braucht es nicht die Umschläge und Koffer; in aller Regel reichen Ministerbezüge und Abgeordnetendiäten oder die Aussicht darauf aus, anfängliche Ideale wie lästigen Müll über Bord zu werfen.

Die Grünen hatten die „Diskursführung“ verloren, als sie sich anpassten und Teil des Problems wurden: des bürgerlichen Staates und der ihm zugrunde liegenden Wirtschaftsordnung. Nun sind ihre Vertreter „Elite“ und an den Fleischtöpfen, die dieses System für wenige zu vergeben hat. Vielleicht erklärt dieser simple Sachverhalt besser als alle hochgestochene Dialektik die vornehme Zurückhaltung grüner Politiker in der Parteispendenaffäre.

WOLFGANG MAUL, Pleinfeld

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.