HESSENS MINISTERPRÄSIDENT KOCH VERLIERT REST AN GLAUBWÜRDIGKEIT
: Schlemihl im Märchenwald

Ein „ehrlicher Mann“ wollte er sein, der „brutalstmögliche Aufklärer“ Roland Koch. Und ist nun doch endgültig im Heimatland der Brüder Grimm, der Legenden und Lügen versumpft, ist Märchenprinz und Kaiser ohne neue Kleider zugleich. Die Opposition klebte sein Konterfei flächendeckend auf die Plakatwände, mit langer roter Nase als Pinocchio. Das alles hat er ausgehalten. Es traf ihn nicht ins Mark.

 Gegen die Machenschaften der Troika der unwürdigen Greise Wittgenstein, Weyrauch und Kanther setzte er aggressiv die Erneuerung, die Unschuld der späten Geburt: Uns die Zukunft, die Verantwortung für die Vergangenheit den Gestrigen! Der „bekennende Kohlianer“ umgab sich zwar mit jungen Männern, ist aber doch nur der Zauberlehrling der alten geblieben. Landespolitisch hakte er sich fest bei seinen Nachbarn Stoiber und Teufel unter. Von Bayern übernahm er den Wahlkampfslogan „Mit Laptop und Lederhose“, auf Hessisch: „Laptop und Bembel“. Von Helmut Kohl holte er sich im Juni 1999 dessen ehemaligen, erst 39-jährigen Referenten Herbert Müller. Müller wurde Kochs Galionsfigur der Erneuerung, sein Berater, sein Souffleur, sein Schatten. Der unrühmliche Abgang Müllers trifft Koch härter als die Entlarvung seines Ziehvaters Manfred Kanther.

 Müller hat sich gar zu schnell in der hessischen Fälscherwerkstatt eingelebt. Er war Kochs Stratege und Taktiker, bei jeder Krisenpressekonferenz dicht an der Seite seines Vorsitzenden. Und Koch will von den Machenschaften desjenigen, den er als Freund, Vertrauten und unentbehrlichen Helfer bei der Aufklärung lobte, nichts gewusst haben? Die Tragödie wird zur Farce mit einem Caesar, der seinen Verräter Brutus überleben will. Drei enge Mitarbeiter ist er auf einen Schlag losgeworden, die behaupten, in eigener Regie gehandelt zu haben, dies allerdings erst eingestehen, nachdem ihnen die Staatsanwaltschaft auf die Schliche gekommen ist. Das hat in Hessen seit Dezember 1999 Methode: Offiziell aufklären und tatsächlich nur scheibchenweise das zugeben, was ohnehin auffliegen wird. Dass die Verantwortung diesmal nicht delegierbar ist, könnte Koch von einem anderen alten Mann lernen. Ex-Manager und Flick-Bevollmächtigter von Brauchitsch, im gleichnamigen Spendenskandal vor fast zwanzig Jahren verurteilt, meldete sich dieser Tage als Experte zu Wort. CDU-Generalsekretäre, die nichts von den Schwarzkassen gewusst hätten, sagte er, seien entweder unfähig oder Lügner. Koch steht nun da wie Peter Schlemihl, der seinen Schatten dem Teufel überantwortete und doch ohne ihn nicht leben konnte. HEIDE PLATEN