Ein Ding bei Schlecker drehen

Wer bei dem Drogerie-Discounter einen Arbeitsvertrag unterzeichnet, muss mit einem Überfall rechnen. Schlecker spart an Sicherheit. Die Täter nutzen die Wehrlosigkeit der Verkäuferinnen aus

von PLUTONIA PLARRE

Unter kriminellen Jugendlichen und Heranwachsenden werden die Filialen des Drogerie-Discounters Schlecker als Geheimtip für lohnende Überfälle gehandelt. Die Devise: „Wenn du schnell und risikolos zu Geld kommen willst, dreh ein Ding bei Schlecker.“ Das berichteten Sozialarbeiter der taz. Die Kriminalpolizei bestätigt: Die Straftäter hätten das Sicherheitsdefizit in den Schlecker-Filialen genau erkannt und wüssten, „dass sie bei den schlecht bezahlten Angestellten leichtes Spiel“ hätten, sagt Kriminaloberrat Detlef Schade, Referatsleiter für Raubdelikte beim Landeskriminalamt (LKA).

Allein 1999 hat es 70 Überfälle auf die rund 350 Schlecker-Verkaufsstellen in Berlin gegeben. Auch in diesem Jahr ist der Trend, laut Schade, ungebrochen. Die Kripo habe deshalb wiederholt von Schlecker gefordert, den Sicherheitsstandard in den Filialen zu erhöhen. Außer dem Einbau von einigen Überwachungskameras sei aber kaum etwas passiert.

Leidttragende sind die Verkäuferinnen, die zum Teil schon mehrfach Opfer von Überfällen geworden sind. „Bei Schlecker einen Arbeitsvertrag zu unterschreiben bedeutet, einen Überfall mit einzuschließen“, sagte eine Staatsanwältin unlängst in einem Prozess wegen mehrerer Raubüberfälle bei Schlecker.

Der Drogerieketten-Besitzer Anton Schlecker, der mit 7.500 Verkaufsstellen in Deutschland 69 Prozent des Marktes abdeckt, spart wo er kann – am liebsten am Personal.

Das führt nach Angaben von Friedrich Giesel, Sekretär bei der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) dazu, dass die Filialen viele Stunden am Tag nur mit einer Verkäuferin besetzt sind. Erst in den Nachmittagsstunden geselle sich eine zweite Kraft hinzu. Die Wehrlosigkeit der Frauen werde ausgenutzt. Hinzu komme, dass die meisten Schlecker-Läden sehr unübersichtlich seien und so mit Waren vollgestopft, dass sie von der Kasse aus nicht überblickt werden könnten.

Die HBV führt gegen Schlecker schon lange einen Kampf um humane Arbeitsbedingungen. Auch die selbstverständlichsten Dinge, wie Tariflöhne und die Wahl von Betriebsräten, musste die Gewerkschaft dem Unternehmen in Gerichtsprozessen abtrotzen. Im April 1998 wurden der in Baden-Württemberg ansässige Anton Schlecker und seine Frau wegen Lohndumpings zu zehn Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Die Erfolge verhindern laut Giesel aber nicht, dass die Firmenleitung immer wieder versucht, „die Gutmütigkeit der Beschäftigten und deren Sorge um den Arbeitsplatz auszunutzen“.

Dies geschieht vor allem auf Kosten der Sicherheit: Wenn Schlecker in den Filialen so genannte feststehende Tresore einbauen würde, die vom Personal nicht alleine geöffnet werden können, würde sich dies in kriminellen Kreisen vermutlich bald herumsprechen, sind Sicherheitsexperten überzeugt. Auch andere Supermärkte würden überfallen, aber bei Schlecker sei die Quote besonders hoch. Nicht umsonst würden die Ketten Aldi und Reichelt das Schlusslicht bilden, weil bekannt sei, dass aus den feststehenden Tresoren nichts zu holen sei.

Die Installation von Überwachungskameras kann nach Auffassung von Kriminaloberrat Schade nur eine Interimslösung sein. „Die Kameras wirken erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist“. Die Sicherheitsverantwortlichen von Schlecker hätten den Kripobeamten versichert, Empfehlungen der Kripo an die Geschäftsleitung nach Ehingen weiterzuleiten Die letzte Unterredung liegt knapp zwei Wochen zurück. „Wenn Schlecker nicht nachrüstet“, ist Schade überzeugt, „werden noch mehr Verkäuferinnen gequält.“ Es gehe nicht an, dass die gesamten Kräfte der Zivilbeamten – wie im vergangenen Jahr „zum Teil monatelang“ lahmgelegt seien, weil sie Schlecker-Filialen überwachen müssten.

Von Schlecker war trotz mehrmaliger Nachfrage, auch per Fax, keinerlei Stellungnahme zu erhalten. Vor dem Arbeitsgericht fand gestern ein Prozess statt, der demonstriert, wie die Firma mit seinen Angestellten umgeht: Geklagt hattte eine ehemalige Verkäuferin, die dreimal überfallen worden und danach zum ersten Mal in ihrer Beschäftigungszeit bei Schlecker krank geworden war. Nachdem die Frau eine Kur absolviert hatte, wurde sie in eine andere Filiale versetzt. Als sie dort erneut erkrankte, bekam sie die Kündigung. Vor Gericht war Schlecker gestern zu keinem Vergleich bereit. Es kommt also zum Haupttermin.