Fiat hat seinen großen Bruder

General Motors schlägt DaimlerChrysler im Wettrennen um den italienischen Autobauer: Statt eine Übernahme anzustreben, gibt sich der weltgrößte Hersteller mit einer Überkreuzbeteiligung zufrieden. Beschäftigte befürchten Stellenabbau

Aus Rom MICHAEL BRAUN

Um 15 Uhr trat gestern der Fiat-Verwaltungsrat in Turin zusammen, um die Allianz mit General Motors (GM) abzusegnen, doch schon am Vormittag galt der Pakt als ausgemachte Sache. In der Nacht von Sonntag auf Montag waren die Verhandlungen zwischen den Spitzen der beiden Autoriesen abgeschlossen worden, hatte GM-Boss Richard Wagoner die Heimreise angetreten. Und am Morgen wurde der Handel mit der Fiat-Aktie an der Mailänder Börse ausgesetzt, das Fiat-eigene Blatt La Stampa brachte die Nachricht vom Abkommen bereits als Schlagzeile.

Der Pakt sieht weder eine Verschmelzung der beiden Unternehmen noch eine Übernahme von Fiat durch GM vor. Stattdessen ist eine Überkreuzbeteiligung angestrebt. GM wird eine 20-Prozent-Beteiligung an Fiat Auto erhalten. Im Gegenzug bekommt Fiat 5 Prozent von GM. Ansonsten bewahren Management, Unternehmens- und Vertriebsstrukturen beider Gruppen ihre Unabhängigkeit, aber die Partner werden zwei gemeinsame Tochterunternehmen für Fahrzeugteile- und Motorenfertigung gründen. Neu entwickelte Fahrzeuge beider Gruppen sollen in Zukunft auf gemeinsamen Plattformen beruhen.

Das neue Tandem Detroit-Turin wird mit 600.000 Beschäftigten und einer Jahresfertigung von gut 11 Millionen Fahrzeugen nicht nur weltweit unangefochten die Nummer eins sein. Auch in Europa wird es mit gut 20 Prozent Marktanteilen die Spitzenposition vor der Volkswagen AG übernehmen. Damit geht die jahrelange Partnersuche bei Fiat zu Ende. „Sein Haus bestellen“ wollte Gianni Agnelli nicht nur, weil für den bald 80-Jährigen in der Gründerfamilie kein Nachfolger in Sicht ist, sondern auch, weil Fiat zu schwachbrüstig ist, um allein zu überleben.

Auf der Verliererseite steht DaimlerChrysler. Die Stuttgarter hatten ebenfalls seit Wochen mit Fiat verhandelt. Allerdings wollte der Konzern mit dem Stern die Italiener komplett schlucken und hatte den Fiat-Eignern im Gegenzug eine 12-Prozent-Beteiligung an DaimlerChrysler angeboten. Das Flaggschiff der italienischen Industrie unter deutschem Kommando – diese Lösung fanden weder Gianni Agnelli noch das Turiner Management attraktiv.

„Fiat bleibt italienisch“: Das ist auch der Grundtenor der durchweg positiven Kommentare quer durch alle politischen Lager. Verhaltener reagieren die drei Gewerkschaftsbünde CGIL, CISL und UIL. CGIL-Chef Sergio Cofferati begrüßte den Abschluss einer strategischen Allianz ohne Fusion, fragte aber ebenso wie seine Kollegen aus den beiden anderen Organisationen nach den Details des Abkommens. Anders als bei der Daimler-Lösung finden mit FIAT und GM schließlich zwei Firmen zusammen, die gerade auf dem europäischen Markt – dort ist GM mit Opel, Saab und Vauxhall präsent – in den gleichen Marktsegmenten antreten. Das verspricht für Management und Aktionäre schöne Synergieeffekte bei Teile- und Motorenfertigung ebenso wie bei den zukünftig gemeinsamen Plattformen. Die Kehrseite für die Beschäftigten in den 21 Fiat- und den 17 GM-Werken in Europa wird wohl aus Arbeitsplatzabbau und Betriebsschließungen bestehen. Fiat ist der größte private Arbeitgeber in Italien und beschäftigt in Europa derzeit 221.000 Leute.

Sorge um die Zukunft beherrschte denn auch die Kommentare an den Werkstoren mehr als die Frage, ob es nun In- oder Ausländer sein werden, die bei Fiat kommandieren. „Für wen ich maloche, ist mir doch egal“, meinte ein Arbeiter gestern in der Mittagspause. „Aber mir ist natürlich nicht egal, ob ich meinen Arbeitsplatz verliere oder nicht.“