the boys are back in town von FRANK SCHÄFER
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Billiger akustischer Fusel umspülte schon eine ganze Weile unsere Ohren. Ich war wirklich nicht gewillt, mich dem länger auszusetzen, hatte schließlich bezahlt. 53,50 Mark. Nicht zu viel für die „Essence of Rock“, wie die Plakate mir zu verstehen gaben, nicht zu viel für „Thin Lizzy, Michael Schenker Group, special guest: Glenn Hughes & Band“. Nun, fürs erste trug mich mein Instinkt hinweg. Da! Ein freier Platz. Ich saß. Die „Bar“ begann sich nun auch zusehends zu füllen. „Warum hat der eigentlich einen so großen Namen? Ich meine, hat der so ein Feeeeling, oder was?“ Das grinsende Gesicht des Unbekannten, der uns mit solch bedenkenswerten Worten zuprostete und abfällig zur Bühne hinnickte, machte eine Antwort überflüssig. Nein, wahrhaftig nicht. Ich winkte nur ab. Der Umstand, dass man sich bei Michael Schenker an der Theke traf, um noch einmal in Ruhe den vorangegangenen agilen, energischen und nicht minder seelenvollen Auftritt von Glenn Hughes zu rekapitulieren, ließ Verständigung auf einmal so verdammt einfach werden. „Hughes dagegen, was?“ Und er nickte nur mit anerkennend vorgeschobener Unterlippe und zeigte mir seinen steil gereckten Daumen. Alle Wetter! Wenn der, im freien Improvisationsteil, auf drei Keyboard-Akkorden den Soul bekommt und seine Stimme Amok laufen lässt, das ist kein Witz, dann hat das allemal mehr Musikalität und Grandezza als das ganze lange lustlos-anämische Set der wie zusammengewürfelt aussehenden Schenker-Gruppe. So dachten wir wohl beide, tranken aus, nickten uns noch ein letztes Mal zu – und dann öffnete sich plötzlich („Seht mal, da vorn auf der Bühne!“) das Tor zu einer anderen Dimension. In dieser Nacht, in dieser wunderbaren Nacht wuchsen unsere Ohren zu gewaltigen Nikolausstiefeln, um all die akustischen Geschenke, die uns diese neuen guten Thin Lizzy freigiebig darbrachten, aufnehmen und nach Hause tragen zu können. Und wir waren wie die Kinder. Tommy Aldridge, der für den „one and only Brian Downey on drums“ kam, watschte sein Kit ab, als wär’s sein Bengel, den er gerade mit einem Joint erwischt hat. Scott Gorham gab sich aufgeräumt und zurückhaltend, und sein leicht nachvollziehbares, aber allemal engagiertes Spiel erstrahlte in auratischem Glanze. John Sykes’ Gitarre pfiff fürwahr aus dem letzten Loch, das kann sie gut, und sein warmes Organ war ein gerade so adäquater Ersatz für den „viel zu früh verstorbenen“ (alle!) Phil Lynott, dass man nun nicht ständig an ihn dachte, ihn aber andererseits auch nie ganz vergessen konnte. Nein, sein guter Geist schwebte über diesen Abend und wurde auch immer mal wieder pietätvoll beschworen: „Come on guys, let’s hear it for a man, who made all this possible, let’s hear it for ...“ Und dann, nach der dritten Zugabe, war auch dieses musikalische Mirakel, das wir schon fast nicht mehr für möglich gehalten hätten, plötzlich zu Ende. Wir gingen hinaus in die dunkle, garstig kalte Nacht, zeigten dem da oben die geballte Faust, zogen den Kragen tiefer ins Gesicht – und ein Gedanke spendete uns Trost: Wo wir waren, dahin wird uns Michael Schenker niemals folgen können.