reichstag, erdtrog etc.
: Zum Streit um Hans Haackes „Bevölkerung“-Projekt

WAS HEISST DEUTSCHSEIN?

Es dauerte keine zwölf Stunden, bis sich die CDU/CSU-Fraktion auf Hans Haacke eingeschossen hatte. Am 25. Januar entschied sich der Kunstbeirat des Bundestags, sein Projekt im Reichstag zu realisieren. Der in New York lebende Konzeptkünstler hatte vorgeschlagen, einen Trog mit Erde aus allen 669 Wahlbezirken aufzustellen, in dem zusätzlich die Neonschrift „Der Bevölkerung“ angebracht werden soll – gut lesbar von den oberen Stockwerken des Gebäudes. Schließlich handelt es sich bei der Installation um „einen zeitgemäßen Denkanstoß und eine Anregung für Diskussionen und Kontroversen über Aufgaben und Ethos von Parlamentariern“, so sieht es jedenfalls der Kunstbeirat.

Für die CDU/CSU-Fraktion, allen voran der Parlamentarische Geschäftsführer Peter Ramsauer (CSU), war dieses Anliegen schon am Morgen nach Bekanntgabe eine Zumutung. Immerhin soll die Erde auf Wunsch Haackes von den Parlamentariern persönlich aus ihren Wahlkreisen angeschleppt werden. In diesem Akt der Zuarbeit – in der Kunst nennt man so etwas schlicht „Prozess“ – sieht Ramsauer „eine politische Aktion, die wir nicht mittragen“. Verlangt hatte Haacke die Anteilnahme allerdings nicht, weil die Quantität der Beteiligung „das Kunstwerk nicht beeinträchtigt“. Dieses Kompromissangebot hätten auch Ramsauer und andere Kritiker (etwa des FAZ-Feuilletons) bereits der ersten Mitteilung des Bundestags entnehmen können. Dann hätten die Gegner allerdings Haackes Skulptur im Zeichen der Freiwilligkeit als Garant eines demokratischen Verständnisses von Auftragskunst bedenkenlos durchwinken müssen.

Trotzdem geht der Streit seit sechs Wochen weiter. Mittlerweile wird nicht bloß Haackes Wunsch nach ein bisschen Erde, sondern auch der „Bevölkerung“-Schriftzug als Umwidmung der Giebelinschrift „Dem deutschen Volke“ am Portal des Reichstags merkwürdig kunstfeindlich, wenn nicht revisionistisch diskutiert. Mal gilt die Erde als Blut-und-Boden-Symbol, dann wieder wird die Forderung nach Einbeziehung aller in der Bundesrepublik lebenden Menschen ohne deutschen Ausweis schlicht für verfassungswidrig erklärt. Wer Arbeiten von Hans Haacke kennt, darf sich zumindest über den ersten Vorwurf wundern: War sein „Germania“-Beitrag zur Biennale 1993 in Venedig, bei der er den steineren Boden des deutschen Pavillons aufgebrochen hatte, nicht als Mahnmal – gegen den neuen Nationalismus in Zeiten der Wiedervereinigung – mit dem ersten Preis ausgezeichnet worden?

Aber auch die Haarspalterei in Sachen Verfassungswidrigkeit ist nur eine sophistische Volte, die Argumente auf Wortspiele reduziert. Haackes Aufweichung des Begriffs „Volk“ ist doch vor allem eine Stellungnahme zur Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft, deren praktische Durchsetzung weiter ungewiss bleibt, auch wenn sie ein erklärtes Wahlversprechen von Rot-Grün war.

Tatsächlich setzt Haacke mit seiner Arbeit auf die konkrete Auseinandersetzung aller Parlamentarier mit der Frage: Was heißt Deutschsein? Dass ihm damit eine solche Provokation geglückt ist, kann der Künstler, der 1991 mit SS-Totenkopf-Bannern den Handel deutscher Chemiefirmen im Irak geißelte, als Sieg verbuchen. Eher schon ist die Überdeterminiertheit der Symbole problematisch, die Haacke in seinen Arbeiten mit großer Geste ausstreut. Der Betrachter wird von ihrer unverbrüchlich negativen Konnotation schier erschlagen. So auch in der demnächst in New York eröffnenden Whitney Biennale, für die Haacke eine Installation konzipiert hat, die den Bürgermeister Rudolph Giuliani angreift. Er will Giulianis wütende Kritik an der „Sensation“-Show in Frakturschrift auf Tafeln drucken und daneben Mülltonnen aufstellen, aus den man das Klacken marschierender Soldatenstiefel hört. Der Grad zwischen Protest und Denunziation wird da sehr schmal.

Eine Überprüfung, inwieweit solche erzieherischen Maßnahmen heute noch adäquat sind, findet bei Haacke nicht statt. Wo in der Kontextkunst der Neunzigerjahre künstlerische Methoden bis hin zur Einbindung von Soziologie überdacht wurden, vertraut Haacke weiter dem Konfliktpotenzial markiger Metaphern. Offenbar gibt es auch für Berlin in seiner zugespitzten Logik keinen Ausweg: Jeder ist verdächtig, und es muss geprüft werden, wie er es mit dem Staat hält. Dass CDU- und CSU-Politiker mit ihrer Reaktion eine solche Generalanklage bereitwillig unterstreichen, gibt zu denken. Von kritischer Kunst sollte man jedoch mehr Differenzierungsvermögen und Ambivalenz erwarten. Immerhin geht es mehr um „die Bevölkerung“ als ums Ganze. HARALD FRICKE

Heute um 20.30 Uhr findet in der Berliner Akademie der Künste, Hanseatenweg, eine Podiumsdiskussion mit Hans Haacke statt