Postapokalyptische Halluzinationen

■ Zwölf Jahre nach seiner Entstehung ist Katsuhiros Otomos Akira noch immer einer der besten japanischen Animationsfilme. Das 3001 bringt ihn nun wieder ins Kino

„Die Technik im Zeitalter ihrer künstlerischen Reproduzierbarkeit“, kann man im Fahrstuhl zu den Büros eines Programmkinos lesen. Trifft dieser post-benjaminsche Kalauer irgendwo zu, dann ganz sicher für die Detail-Liebe, mit der japanische Manga- und Animé-Zeichner ihre gigantischen mecha-Designs entwerfen, Maschinenlandschaften, in denen die kleinsten Windows-Icons so deutlich sind wie die Kabelstränge der sie anklickenden Cyborgs. Menschliche Gesichter bleiben im Vergleich meist weitaus blasser, und Kritiker haben das immer wieder zum Anlass genommen, die japanischen Mangas und Animationsfilme als Kürzel einer hochtechnisierten Gesellschaft zu lesen.

Einer der detailversessensten und eindrucksvollsten Animés bleibt bis heute Katsuhiro Otomos auf seiner in 14-tägigem Abstand erschienen Manga-Serie basierender Akira aus dem Jahre 1988, mit dem das Genre auch im Westen seine Freunde fand. Akira erzählt sich schnell und kinetisch wie ein Comic-Serial, geizt nicht mit expliziter Gewalt und pseudo-philosophischen Fragestellungen, die Science-Fiction-Fans so überaus schätzen - und ist dabei vor allem eins: bunt. Selbst zwölf Jahre später lassen die 327 Farbtöne, die auf über 160.000 Einzelbildern zum Einsatz kommen, noch jede Disney-Animation ziemlich alt aussehen. Und mit rund vier Millionen Dollar Herstellungskosten ist Akira auch bis heute einer der teuersten Animés aller Zeiten.

Akira spielt im Tokyo des Jahres 2019. Der 3. Weltkrieg liegt gerade 31 Jahre zurück, und die wieder errichtete, sich unter Militärherrschaft befindende Stadt erstrahlt im hintergrundverliebtem Blade Runner-Tech-Noir-Look. Die Straßen der Stadt werden von rasenden Cyberpunk-Bikern auf ihren Maschinen beherrscht. Eines Nachts kommt es zu einem Unfall zwischen dem Gangmitglied Tetsuo und einem seltsamen, telekinetisch begabten Jungen, der sich plötzlich in Luft auflöst. Tesuo überlebt den Vorfall, findet sich aber plötzlich im Zent-rum der Auseinandersetzung zwischen der regierenden parafaschistischen Allianz aus Militär und Industrie und einer terroristischen Widerstandsgruppe. Denn Tetsuo hat übernatürliche Kräfte entwickelt, mit denen der bösartige Colonel menschliche Waffen entwickeln will.

Kleinere Ungereimtheiten der Story verzeiht man bei einer so vollmundigen Verschwörungstheorie gern. Doch dabei liegt die Brisanz von Akira, wie die eines jeden guten SF-Films, gar nicht so sehr in seiner halluzinatorisch-postapokalyptischen Vision als möglicher Zukunft, sondern in seiner Form. Und auch die erzählt, in der japanischen Originalfassung sogar lippensynchron gezeichnet, gerade in ihrer Präzision von einer Gegenwart: der Verdinglichung des Menschen. Tobias Nagl

ab heute, 22.30 Uhr, 3001