Ein Münchner in Hamburg. Oder nicht?

„Die Profilisten“ zeigen Wolfgang Maria Bauers In den Augen eines Fremden im Haus Drei  ■ Von Ralf Poerschke

Wie das anfing? Das weiß selbst Martina Schröder nur noch vom Hörensagen, obwohl sie schon seit neun Jahren dabei ist und damit Dienstälteste. Über zehn Jahre ist es jedenfalls her, dass an der Uni Hamburg eine Handvoll Studenten – Juristen, Psychologen, überwiegend allerdings Sozialpädagogen – zusammenkam, um Theater zu spielen. Just for fun. Sie nannten sich „Die Profilisten“, was nach Profil klingt, nach Profi oder Professor, doch es handelte sich dabei um eine „Verlängerung von Prost“, sind sich die aktuellen Mitglieder der Laienspielschar eigentlich fast sicher, auch wenn ihnen der tiefere Sinn dieses Namens nicht gerade zwingend einleuchtet. „Wir haben ja sogar zeitweise überlegt, uns umzubenennen“, sagt die 36-jährige Bankkauffrau, „aber man kennt uns nun mal unter Profilisten.“

Vor allem kennt man sie in den einschlägigen Hamburger Stadtteilkulturzentren, im Bergedorfer Lola, im Goldbekhaus, im Haus Drei und im Kulturhaus Eppendorf, wo die Gruppe mit der regelmäßig wechselnden Zusammensetzung jeden Donnerstag probt. Im Moment sind das auf Schauspielerseite: Evi Albrecht, 30, Steuerfachgehilfin, Christian Bode, 35, Schuhverkäufer, Matthias Fricke, 31, Kaufmann, Andreas Prieß, 30, Hausmeister, Tilman Zell, 31, Gärtnermeister. Und natürlich Martina, die auch schon echt schlechte Profilisten-Tage erlebt hat: „Es gab Krisenzeiten, da waren wir nur noch zu dritt, da dachten wir, jetzt ist es vorbei.“ Doch dann fand sich immer wieder ein Freund eines Freundes mit Freude am Mitmachen, oder es wurde einfach eine Anzeige geschaltet. Dabei muss niemand sofort auf die Bühne – Christine und Jörg Kölln zum Beispiel sind derzeit für Technik, Beleuchtung, Maske und das Soufflieren zuständig. Spätere Schauspieltätigkeit nicht ausgeschlossen.

Für einen Regisseur ist bei den Profilisten konzeptionell kein Platz – alle Fragen der Inszenierung vom Interpretationsansatz bis zum letzten kleinen Einfall diskutieren die Akteure untereinander aus. Auch die Auswahl der Stücke wird kollektiv getroffen, immer nach den Sommerferien, und da kann die Gruppe auf ein für Laien recht profiliertes Programm von elf Produktionen zurückblicken: Der Kammersänger von Frank Wedekind markierte 1990 den Anfang, es folgten Sartres Geschlossene Gesellschaft sowie Tschechows Einakter Der Bär und Der Heiratsantrag. Einen Schwerpunkt bildete die englisch/amerikanische Nachkriegsdramatik: Edward Albee, Harold Pinter, Alan Ayckbourn und den hierzulande selten gespielten Joe Orton haben sie auf die Bühne gebracht. „Für dieses Jahr hatten wir uns fast schon auf einen regulären Krimi geeinigt“, erinnert sich Martina, „doch dann kam Christian mit In den Augen eines Fremden von Wolfgang Maria Bauer.“

Mit diesem wunderlichen Stück wurde der Münchner Dramatiker, Schauspieler, Ex-1860-Rechtsaußen (noch neben Rudi Völler damals) und -Jugendnationalspieler 1994 von Theater heute zum Nachwuchsautor des Jahres gekürt. Hier im Norden werden seine Werke so gut wie nicht aufgeführt, hingegen sah man Wolfgang Emil B., der sich wegen der weiblichen Note (und um Verwechslungen mit dem gleichnamigen Grazer Dramatiker zu vermeiden) zwischendrin Maria nennt, vergangenes Jahr auf der Schauspielhausbühne als fiesen Edmund in Dimiter Gotscheffs Lear-Inszenierung brillieren. Umso mehr erstaunte (und freute) es ihn, als er vom S.-Fischer-Verlag läuten hörte, dass eine freie Hamburger Gruppe Interesse an seiner schriftstellerischen Arbeit zeigte: Er schrieb den Profilisten einen Brief, versprach einen Auffüh-rungsbesuch und bot sogar seine Hilfe an.

So geehrt sich die Theateramateure von Bauers Offerte auch fühlten, so sehr scheuten sie davor zurück, ein derartiges Abenteuer zu wagen. Die Profilisten machten sich lieber ihren eigenen Reim auf den geheimnisvollen Text – wahrlich spannend genug. „Eigentlich haben wir mehr diskutiert als geprobt“, sagt Martina. Was man sich gut vorstellen kann, denn eine regelrechte Geschichte erzählt Bauer mit In den Augen eines Fremden keineswegs. Es sind zwölf Szenen in einem „vergessenen Badeort am Meer“, sie spielen „Auf den Klippen“, „Im Tanzpalast“ und in einer „Absteige“, sechs Personen auf der Suche (nach irgendwem und irgendwas), Dialoge und Monologe im Wechsel.

Was hier zählt, ist nicht der dramatische Strang, sondern der dramatische Moment. Die Figuren begegnen sich vielleicht zum ersten Mal, vielleicht kennen sie sich aber auch schon lange, ihre Gespräche drehen sich – wie bei Bernard-Marie Koltès – um nichts und um die gesamte menschliche Existenz; zwischen ihnen tut sich ein merkwürdiger Raum auf, abgründig, romantisch, dabei immer sanft, beinahe leicht. Viel zu vage jedenfalls für den Regisseur Leander Haußmann, der bei seiner Uraufführung 1994 im Münchner Residenztheater die lose Bilderfolge hübsch bündig verschliff und zu diesem Zweck vom Autor sogar noch neuen Text erbat.

Die Profilisten haben in dem Stück nur ein, zwei kleine Stellen verändert und wollen ihm seine poetische Offenheit unbedingt erhalten. Hat der finstere Pinon, der im Haus auf den Klippen lebt, das der Portier einst im Spiel an ihn verlor, seine Frau umgebracht? Oder nicht? Sind Vera und Daniel seine Kinder, gezeugt mit der vernarbten Hure Gratia, die mit Daniel über die Käuflichkeit der Körper verhandelt? Oder nicht? Und bleibt Sebas-tian am Ende? Oder nicht? Haben eventuell alle nur einen Sonnenstich? – Bei der Premiere am 11. Februar im Kulturhaus Eppendorf zeigten sich die Zuschauer sehr angetan von der Inszenierung, auch wenn die einen meinten, gar nichts verstanden zu haben – und die anderen alles.

Nun steht die zweite Vorstellung an, im Altonaer Haus Drei, und wieder erwarten die Profilisten viele Freunde im Publikum. Die füllen letztendlich die Profilisten-Kasse, aus der die Produktion fürs nächste Jahr bezahlt werden muss: die Raummiete, der Verlag, der Fotograf. Geldsorgen drücken die Laien im Unterschied zu ihren professionellen Kollegen jedoch nicht: „Am Ende ist immer noch genug übrig, um schön essen zu gehen“, sagt Tilman. „Und ins Theater.“ Vordringlich aber muss das Antwortschreiben an Wolfgang Maria Bauer formuliert werden. Martina hat immerhin schon angefangen. Und vielleich sitzt er dann am 7. April im Lola Bergedorf im Publikum. Unter lauter Freunden.

Fr, 17. März, 20 Uhr, Haus Drei, Hospitalstr. 107