Happy Farm vor dem Aus

Erster Gebäudetrakt in der Riedsiedlung ist abgerissen. BewohnerInnen wollen trotzdem weiter um ihre alten Wohnungen kämpfen  ■ Von Peter Ahrens

Als Hans Scheitzow 1962 als 34-Jähriger in seine Wohnung in der Riedsiedlung einzog, war Kennedy noch Präsident der USA, die Berliner Mauer stand gerade ein paar Monate. Das ist lange 38 Jahre her, in denen Scheitzow in der Siedlung alt geworden ist. Einer Siedlung, die seit 62 Jahren steht und die es bald nicht mehr geben wird. Die Wohnungsbaugesellschaft SAGA will an der Legienstraße viergeschossige Neubauten hochziehen, die alte Siedlung muss dafür weg. Zahlreiche BewohnerInnen kämpfen zwar noch um den Erhalt, aber ihre Chancen sind geringer denn je: Der erste Gebäudetrakt ist jetzt abgerissen worden.

Die Protestschilder „Riedsiedlung muss bleiben“, die die BewohnerInnen überall in der Siedlung aufgehängt haben, gibt es noch, sie sind allerdings inzwischen leicht verblichen. „Die Kampfstimmung ist inzwischen gemischt“, sagt Scheitzow, der Vorsitzende der Mietergemeinschaft. Die Angebote der SAGA an die MieterInnen, während der Abriss- und Bauarbeiten Ersatzwohnungen zu beziehen und anschließend in die Neubauten umzusiedeln, haben viele weich geklopft. Zahlreiche der 515 Siedlungs-Wohnungen stehen jetzt schon leer. Die Haltung „Es wird doch sowieso abgerissen, was soll das noch?“ hat sich breit gemacht.

Aber es gibt immer noch genügend unter den ursprünglich 1000 BewohnerInnen, die bleiben wollen und kämpfen. „Ich werde hier auf jeden Fall weiter wohnen, über Alternativen habe ich mir überhaupt noch keine Gedanken gemacht“, sagt Scheitzow. Und auch der Umstand, dass die SAGA sich, wie er sagt, „schwerfällig anstellt, wenn jetzt noch Reparaturen in den Wohnungen anliegen“, hat ihn nicht dazu gebracht, aufzugeben.

SAGA-Sprecher Adrian Teetz räumt ein, es sei „eine Gratwanderung“, ob man bei den zum Abriss stehenden Häusern noch großartig repariert oder nicht. „Eine Kloschüssel oder ähnliches zum täglichen Bedarf“ werde man auf jeden Fall noch herrichten, bei „bestimmten kosmetischen Dingen“ müsse man aber „auch wirtschaftlich denken“.

Die Riedsiedlung entstand zwischen 1935 und 1938, einige der damaligen MieterInnen wohnen heute noch hier. Nach dem Krieg war der Gebäudekomplex, der im Stadtteil auch als „Happy Farm“ bekannt ist, eine der KPD-Hochburgen im Osten der Stadt. Bei der vergangenen Bürgerschaftswahl erhielt allerdings die rechtsextreme DVU in der Siedlung 17 Prozent.

Ob alle alten MieterInnen auch wieder in die Neubauten einziehen, könne man, so Teetz, „schwer vorhersagen“. Zwar werden auch in Zukunft Sozialmieten verlangt, aber diese dennoch deutlich höher liegen als bisher. Scheitzow überweist jetzt monatlich 550 Mark für seine 65 Quadratmeter, „das wird künftig wohl das Doppelte sein“. Ein Grund mehr für ihn, weiterzukämpfen.