Johannes Rau im Plattenbau

Der Bundespräsident besucht Hellersdorf und lernt, dass es auch im fernen Osten Fünfzimmerwohnungen gibt

Hellersdorf, der jüngste Stadtbezirk und die größte Plattenbausiedlung Europas, hat gestern erneut einen Rekord aufgestellt: Hellersdorf ist der erste Berliner Bezirk, dem Bundespräsident Johannes Rau (SPD) seit seinem Amtsantritt einen Besuch abgestattet hat. Auf Einladung der Investorengesellschaft MEGA, die dort 2.300 Wohnungen gebaut oder modernisiert hat, besichtigte er zusammen mit seiner Frau und mit Schulsenator Klaus Böger (SPD) eine Dreizimmer-Musterwohnung mit Rauhfasertapete, verglaster Loggia, Parkett und Miniküche ohne Anschlüsse, aber mit Plastikcroissants auf dem Tisch.

Die MEGA hatte im Sommer vergangenen Jahres an den Bundespräsidenten geschrieben und ihn eingeladen, sich doch einmal „die lebenswerte Platte“ anzuschauen. „Wir wollten ihm diese Seite des neuen Deutschland zeigen“, sagte eine Sprecherin.

Rau, der eine seiner Aufgaben als Bundespräsident darin sieht, „sich um die Menschen im Osten zu kümmern“, zeigte sich äusßerst wissbegierig. Er informierte sich über „Wärmedämmverbundsysteme“ und „voll sanierte Sanitärteile“ der „pflegeleichten Wohnungen“. Als er fragte, ob die Dreizimmerwohnungen die größten seien, und erfuhr, dass es auch Fünfzimmerwohnungen gibt, rief er erstaunt: „Ach, es gibt auch Fünfzimmerwohnungen?“ Kurz darauf blieb ihm nichts anderes übrig, als zu erklären, dass er sich schon vorstellen könnte, in Hellersdorf zu wohnen. Aber: „Unsere Wohnentscheidung geht nach der Erreichbarkeit der Schule unserer Kinder.“

Bezirksbürgermeister Uwe Klett (PDS) sah dem Andrang der mehreren Dutzend Journalisten, die alle auf einmal in die Wohnung drängten, gelassen zu. „So viel Auflauf hatten wir noch nie“, raunte Schulsenator Böger ihm zu, „nicht mal wenn wir aus dem Fenster springen würden.“ Dann bemerkte Böger noch, dass „die Platte manchmal schlechtergeredet wird, als sie ist“. Ein Zuspruch, den Klett nicht nötig hat. „Hellersdorf ist einer der interessantesten Bezirke der Bundeshauptstadt“, sagte er, und Raus Besuch sei „als Brückenschlag außerordentlich wichtig“.

Kletts Selbstbewusstsein kommt nicht von irgendwoher. Immerhin hat er eine Landsmännin des Bundespräsidenten in Hellersdorf angesiedelt. Denn seine Ehefrau kommt auch aus Nordrhein-Westfalen. „Ich habe Freunde im Heimatort von Frau Rau“, erzählte Klett den Journalisten. In der dortigen Stadtverordnetenversammlung sitze zudem seine Schwiegermutter – allerdings für die CDU.

Mit Raus Besuch wird die Reihe prominenter Plattenflitzer fortgesetzt: Michail Gorbatschow, Prinz Charles, Manfred Stolpe, Gregor Gysi, Rita Süssmuth. „Den Kanzler hätte ich gern hier“, wünschte sich Klett zum Schluss. Sollte die Kanzler-U-Bahn wirklich gebaut werden, könnte Schröder bequem mit der U 5 bis Hellersdorf durchfahren.B. BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA