Putins Puppen tanzen

Entrüstete Intellektuelle wollen den Präsidenten vor Satire schützen. Die Treueprämie: ein gut bezahlter Job im Kreml

aus Moskau BARBARA KERNECK

Regisseur Alexander Tschernych brüllt: „Motor!“ Auf dieses Stichwort hin wird es still im Studio IV auf dem Mosfilm-Gelände. Die Kamera läuft an einem Donnerstagnachmittag zur Vorproduktion der Sendung „Kukly“ (zu Deutsch „Puppen“). Am Sonntagabend soll diese Politgroteske, wie jeden Sonntag, dreieinhalb bis vier Millionen der BürgerInnen Russlands ein spezielles Wochenendvergnügen bieten. Zu Beginn der Aufnahmewoche hat der amtsausübende Präsident Wladimir Putin in der Redaktion der Tageszeitung Komsomolskaja Prawda für deren LeserInnen eine Frage-und-Antwort-Stunde abgehalten.

Deshalb sind jetzt im Studio viele Telefone aufgebaut. In rustikalem Interieur, vor einer Kuckucksuhr, sitzt Rentner Boris Jelzin im Schlafrock in seiner einschneienden Datscha (immer dieser Ärger mit der Schneemaschine!). Vielmehr sitzt dort nicht Jelzin, sondern die Puppe „Boriska“, die viel lieber und einfältiger ist als ihr lebendes Vorbild. Sie besteht, wie all ihre Brüder und Schwestern, aus einem überlebensgroßen Gummikopf, der jetzt auf dem Rumpf eines Darstellers thront. Dieser bedient auch die Fernsteuerung, die den Mund sprechen lässt. Ein zweiter Mann duckt sich akrobatisch hinter dem ersten und leiht der Puppe seine Arme und Hände.

Boriska hat gerade im Radio von Putins Telefonstunde gehört und quäkt nun, zum Hörer greifend, leicht versonnen: „Na, da wollen wir doch auch mal anrufen und gucken, was der Junge so macht.“ Wie alle Anrufer hat auch er Schwierigkeiten, durchzukommen. Zwischengeschaltet sind etwa die Puppen der Oligarchen Beresowski und Tschubais. Sie verballhornen auf absurde Weise die Fragen des Volkes, ehe sie den Präsidenten erreichen. Die neue Sendung ist im Kasten. Am Sonntag bekommt Putin wieder sein Fett weg. Die Botschaft: An diesen Mann ist einfach nicht heranzukommen.

Der Privatsender NTV konnte seine Einschaltquote für „Kukly“ im Laufe des Februars von zwölf auf 17 Prozent steigern. Drei Sankt Petersburger Professoren machten nämlich unfreiwillig Reklame für die Sendung: Anfang Februar haben sie in einem offenen Brief in der Tageszeitung Sankt Peterburgskie Wedomosti gefordert, den Produzenten der Sendung vor Gericht zu stellen. Die Darstellung des Präsidenten sei „unanständig“. Er werde mit besonderer Bosheit „besudelt“. Das sei rechtswidrig. Klage eingereicht haben sie allerdings bisher noch nicht.

Das Dokument strotzt vor Ungereimtheiten. Da heißt es zum Beispiel an einer Stelle des Schreibens, dass die Sendung zum Genre der Satire gehöre, gleichzeitig wird aber bekrittelt, dass sie Putin parodiere und darüber hinaus „grotesk“ darstelle.

Die seit fünf Jahren produzierten „Puppen“-Sendungen geraten oft zu poetischen Kleinoden. Ihre Gummiakteure nehmen zwar aktuelle Aussprüche und Taten ihrer lebenden Namensvettern auf, aber sie interpretieren sie auf höchst eigenwillige Weise und erinnern dabei alle ein wenig an Snoopy und Charly Brown. „All unsere Helden sind sehr von sich eingenommen“, sagt zum Beispiel Regisseur Tschernych: „Sie sind sich der Grenzen nicht bewusst, auf die sie in der Realität notwendigerweise stoßen müssten.“

Dabei beschränken sich die Schauplätze keineswegs auf das Studio. Die Puppenakteure ließen sich schon auf den Rücken der Kamele des Moskauer Zoos hin und her schaukeln, nahmen auf Müllwagen Platz, nutzten die Metro und flogen in einem echten Raumschiff.

Die Autoren spielen raffiniert mit literarischen Vorlagen. Boriska mimte mal den Hamlet, mal Robinson Crusoe. In einer der beiden von den Petersburger Professoren angegriffenen Sendungen schlüpfte die Putin-Puppe in die Rolle des Zwerges „Klein Zack“ am Hofe von Eisenach und schmetterte Arien aus der Oper „Hoffmanns Erzählungen“.

„Können denn diese Professoren nicht unterscheiden zwischen dem amtsausübenden Präsidenten und einer Gummipuppe?“, fragt Wiktor Schenderowitsch, der das Drehbuch zu dieser Sendung geschrieben hat. „Und welches ist das dort genannte ausgeübte Amt, das besudelt worden sein soll? Putins Amt oder das Amt der Putin-Puppe als Hofzwerg?“

Man könnte das Ganze als Grille einiger allzu akademischer Akademiker abtun. Aber den drei Sankt Petersburger Professoren ist die Person nur allzu gut bekannt, die sie zu schützen vorgeben. Sie wissen, was bei Putin wie ankommt. Der ist tatsächlich „Zögling“ der juristischen Fakultät, wie es in ihrer Erklärung heißt. Besonders gut verstanden hat er sich als Student mit dem international renommierten Rechtswissenschaftler Juri Kirillowitsch Tolstoj. Tolstoj und seine Rektorin Werbizkaja führten die Initiativgruppe an, die sich in St. Petersburg für Putins Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten einsetzte.

In der St. Petersburger Juristenschmiede sind in den letzten Jahren die meisten Gesetzentwürfe des Landes vorbereitet worden. Von dort hat sich Putin jetzt einen wichtigen Teil seiner neuen Kreml-Kader geholt.

„Das machen die nicht, um uns hinter Gitter zu setzen“, mutmaßte gleich nach der Veröffentlichung des Protests Drehbuchautor Schenderowitsch: „Sie signalisieren damit Herrn Putin: Wir sind noch da, wir sind für Sie, wir beschützen Sie.“ Das Signal muss angekommen sein, denn kurz nachdem der offene Brief in die Welt gesetzt wurde, ernannte Putin die Rektorin Werbizkaja zu seiner Vertrauensfrau im Wahlkampf.

So gesehen passte die Aktion gegen die Puppen gut zur Maulkorbpolitik des Präsidenten gegenüber der Presse, zum Friedhofsschweigen über die Vorgänge in Tschetschenien, das die gegenwärtige Regierung der Russischen Föderation mit Macht gegenüber den Medien durchzusetzen versucht. Zeitlich gesehen fiel sie zusammen mit zwei denkwürdigen Ereignissen: der Auslieferung des der Obrigkeit unliebsamen Radio-Liberty-Korrespondenten Andrej Babizki durch föderale Sicherheitsbehörden an Terroristen und mit dem seit der Perestroika einzigartigen Versuch, den Redakteur einer Moskauer Tageszeitung, Alexander Chinschtejn, einer psychiatrischen Zwangsbegutachtung zu unterziehen.

Inzwischen hat sich auch Putin zu dem Petersburger Brief geäußert, allerdings ohne eine eindeutige Position zu beziehen. Einer seiner Pressesprecher ließ verlauten: „Putin ist den Leuten, die für ihn eintreten, dankbar. Er ist damit einverstanden, dass der Rahmen des Anstandes berücksichtigt werden muss. Aber ohne auf die Frage nach dem Geschmack der Autoren der Sendung oder nach ihrem Gefühl für das rechte Maß einzugehen, hat er nicht die Absicht, irgendwelche Ansprüche gegen ,Kukly‘ geltend zu machen.“

Drehbuchautor Schenderowitsch kommentiert die Politposse um seine „Puppen“ im philosophieschwangeren Stil seiner Gummihelden: „Wie kämpferisch beginnt doch die neue Epoche!“