gelbsucht
: Neuer Fußballtrend: Spielen um des Nichtspielens willen

OTZE IST ÜBERALL

Das Vorbild heißt Frank „Otze“ Ordenewitz. 1991, er spielte beim 1. FC Köln, wollte er vom Platz fliegen, um in einem bedeutungslosen Spiel gesperrt zu werden und nicht im Pokalfinale. Trainer Rutemöller wies ihn in der Kabine an: „Mach et, Otze.“ Otze machte, und die knappe Anweisung wurde zum geflügelten Wort.

Jetzt ist Otze überall, in ganz Europa. In der Champions League ist eine neue, hoch infiziöse Form der Gelbsucht ausgebrochen. Bei der man sich sogar vorsätzlich selbst infiziert.

Bayerns Mehmet Scholl, mit zwei gelben Karten vorbelastet, hatte am Dienstag angefangen, auch auf Trainergeheiß („Versuch es!“): Demonstratives Entblößen des Oberkörpers vor den Augen des Schiedsrichters – Gelb, weil man adrett zu kicken habe. Scholl wurde deshalb Schlitzohr genannt, Cleverle und Filou. Seine List: Sperre im unwichtigen Kiew-Spiel absitzen, um frei zu sein im Viertelfinale. „Nichts gegen die Regularien“, richtete sein Vizechef Rummenigge kühl. Scholl selbst: „Ich habe doch niemandem wehgetan.“ Aber sogleich Nachahmer gefunden.

Am Mittwoch grätschte Manchesters Beckham, der sonst so Brave, drauflos, bis er die gewünschte Sperre geschafft hatte. Barcelonas Luis Figo blockierte einen Freistoß, ließ sich verwarnen und umgehend auswechseln.

Sein Kollege Abelardo spielte einen ansehnlichen Volleyball-Schmetterschlag im Mittelfeld: Gelb und Abgang. Beider Auftritt folgte nur dem Ziel, schnell wieder zu gehen und beim nächsten Mal nicht auftreten zu dürfen. Ihr Trainer Louis van Gaal sagte hinterher, so aktuell scheinheilig wie prinzipiell richtig: da gehörten wohl die Regeln geändert.

Absurd das alles? Betrug am Zuschauer, am Fußball? Soll man sich über Unfairness empören? Oder vielleicht fragen, ob für solche Vergehen nicht, ähnlich wie beim Eishockey eine 2x2-Minuten-Strafe, gleich zwei gelbe Karten möglich wären (eine für das Vergehen plus eine wegen vorsätzlicher Unsportlichkeit)? Oder gleich Rot ziehen?

Die Wahrheit ist: Mal wieder haben die Verbandsfunktionäre die Folgen ihrer aufgeblähten Dauerliga und damit vorzeitige Qualifikationen nicht bedacht. Jetzt nachträglich Extrasperren zu diskutieren (worüber die Uefa nachdenkt), ist genauso unfair wie selbstgefällig.

Ähnliches gab es schon auf DFB-Ebene: Erst beim nachträglich finalgesperrten Otze wegen grober Unsportlichkeit, dann nach dem Verbot der Torwartrückgaben per Fuß. Ein anatomisch versierter Spieler von Fortuna Köln wusste um menschliche Anatomie, lupfte den Ball vom Fuß hoch aufs Knie und knickerte ihn so seinem Keeper in die Arme. Indes: Der Schiedsrichter pfiff, und die Aufregung war groß. Grund des Pfiffs: Unsportlichkeit. Der beliebte Gummiparagraf als Kitt für alle Statutenlücken. Albern, üblich und fußballspezifisch.

In dieser Tradition wären nachträgliche Sperren also fußballlogisch. Eleganter fanden wir indes den Schiedsrichter aus München: Als Markus Babbel, ähnlich wie tags später Manchesters Roy Keene, gegen Ende ständig um die dritte Karte foulte, passierte nichts. Auch nicht, als er erkennbar Hand spielte.

Auch nicht, als er lauthals herummeckerte. „Sorry“, hat der schwarze Mann gesagt, „it’s impossible.“ Babbel: „Er war schlauer als ich.“ Bernd Müllender