„Teil eines Kultes“

Die Zukunft der Musik liegt im Internet: Der Produzent Bill Laswell über Miles Davis, den Kuba-Boom und Plattenfirmen als repressive Systeme

taz: Sie bringen als Musiker und Produzent jedes Jahr zahllose Platten auf den Markt. Wie machen Sie das?

Bill Laswell: Viele Leute verbringen so viel Zeit damit, eine einzige Sache zu machen und diese dann zu korrigieren. Ich glaube nicht an Perfektionismus – ich will Erfahrungen machen.

Sie haben mit dem Album „Panthalassa“ auch ein sehr erfolgreiches Miles-Davis-Projekt gemacht. Was war denn Ihre Intention, Miles Davis zu remixen?

Was glauben Sie denn, war meine Intention?

Das würde ich gerne von Ihnen wissen ...

Aber Sie haben doch sicher eine Vorstellung, was meine Intention war. Ich bin immer etwas genervt, wenn Journalisten das Wort „Intention“ fallen lassen. Das ist so verdammt langweilig. Meistens ist es total langweilig, mit Journalisten zu reden! Was meine Intention war? Was zum Teufel glauben Sie? Es ist gute Musik, und es es war eine gute Möglichkeit.

Hmm. Fanden Sie das Original langweilig oder für heutige Verhältnisse zu unmodern?

Davis’ Musik hat repetitive Basslinien und Schlagzeugfiguren, das unterscheidet sich gar nicht so sehr von der Musik, die wir heute hören. Sie ist sehr dicht, ein Gewebe mit vielen atonalen Klängen. Aber die Musik heute hat einen viel klareren Sound, hat mehr Definition, der Bass ist viel kräftiger, und der Rhythmus hat mehr Wirkung.

Miles Davis’ Musik hätte diese Qualitäten auch haben sollen, als sie gemacht wurde, aber sie wurde in der gleichen Art und Weise aufgenommen, interpretiert und letztlich auch ausgeliefert wie eine Jazzplatte. Das macht absolut keinen Sinn, denn es ist keine Jazzplatte. Meine Intention war also, diese Musik in einen Zukunftssound zu übertragen.

War man denn zu dieser Zeit schon in der Lage, anders zu produzieren?

Ja, das war man, denn zur selben Zeit machten Jimi Hendrix oder Led Zeppelin sehr gut klingende Platten. Nur die Jazzleute blieben bei ihrer Art zu arbeiten und zu denken stehen. Sie hätten einen anderen Produzenten gebraucht, denn Miles hörte gar keinen Jazz zu dieser Zeit, er wollte kein Teil des Jazz sein. Aber sein Name war nun einmal Miles Davis, der Jazztrompeter, und das hielt ihn zurück. Ich wusste, dass die Musik besser klingen kann und dass es eine Menge Material gibt, das viele Leute noch nicht gehört haben.

Auf der Platte „Imaginary Cuba“ mixen Sie Drum & Bass mit kubanischer Percussion. Sind Sie jetzt auch auf dem Kuba-Trip?

Ich glaube, der Kuba-Boom hat mit einer Platte namens „Buena Vista Social Club“ zu tun, die vor einiger Zeit herauskam. Sie ist sehr folkloristisch, sentimental, nostalgisch, und sie hat mit sehr alten Menschen zu tun, die sehr alte Musik spielen. Das ist nicht Kuba, tut mir leid. Kuba brennt. Es gibt dort Kids, die unglaubliche Sachen spielen, und das wird auch dokumentiert. Unglücklicherweise glaubt zurzeit jeder, dass alle Menschen auf Kuba 90 Jahre alt sind, kaum laufen können und Gott danken, dass sie ihre Musik der Welt vorspielen können. Das ist schön, aber nicht mein Ding. Ich will dort eine HipHop-Platte machen, weil es dort Millionen solcher Gruppen gibt.

Sind die jungen Leute, die Sie auf Kuba getroffen haben, in Opposition zum offiziellen System?

Die Kubaner, die man in Miami trifft, sind sehr gegen Castro, von ihnen bekommt man diesen Eindruck. Diejenigen, die auf Kuba leben, glauben dagegen sehr stark an Kuba, und glauben Sie es oder nicht, sie glauben an Fidel. Von den Leuten, mit denen ich zusammen war, habe ich nichts Negatives gehört, und ich habe viele Leute getroffen.

Billigen Sie Ihrer eigenen Musik eine politische Qualität zu?

Alles ist politisch in dieser Welt und in diesem Geschäft. Wann immer man verrückte Musik spielt, ist man Teil einer geheimen Gesellschaft, Teil eines Kultes. Dann ist man weit weg vom Mainstream und wird als subversiv angesehen. Das macht es politisch, denn diese Handlung richtet sich gegen ein repressives System wie eine Plattenfirma, gegen ein Format wie das Radioformat, gegen Hype und Marketing und die Übersättigung mit dem immer gleichen langweiligen Scheiß, der in jeder Sekunde auf die Leute hinabgelassen wird.

Die wissen es nicht besser und haben auch nicht die Zeit, etwas Besseres zu finden, dank der totalen Manipulation der Kinder durch Marketing und Werbung, die ihnen sagt, was sie kaufen sollen oder was nicht cool ist – die haben keine Alternative. Wenn man dagegen ist, dann ist man politisch.

Sehen Sie in neuen Medien wie dem Internet Potenziale zur Veränderung?

Mit den Plattenfirmen ist es vorbei, und die Plattenfirmen wissen das auch. Aber sie haben die Kontrolle noch nicht aufgegeben. Die Zukunft liegt bei Internetfirmen, Firmen in Privatbesitz mit eigenem Vertrieb.

Sind Sie im Internet aktiv?

Ja, ich bin involviert in eine Firma für Musik zum Downloaden (www.emusic.com, d.Red.). Wir kaufen und verkaufen Kataloge in großem Umfang.

Was ist dabei Ihre Funktion?

Als Berater ermutige ich Leute, ihre Plattenfirmen zu verlassen und mit Internetfirmen zu arbeiten. Ich glaube, die Internetfirmen sollten versuchen, die Majors auf ihrem Feld zu schlagen. Sobald sie mit der Musik zum Herunterladen erfolgreich sein werden, werden sie auch CDs, Minidiscs und DVDs produzieren.

Wird es Musik bald nur noch umsonst im Internet geben?

Das wäre sehr gut, aber wovon sollen dann die Künstler leben? Wenn es Leute gibt, die ihre Musik umsonst weggeben wollen, dann ist das okay. Aber die meisten können nur dadurch überleben, dass sie sie verkaufen.

Aber das Internet könnte die Konzentration der Plattenkonzerne untergraben?

Das wird alles passieren. Die großen Majors, das sind alte, tote oder schlafende Leute, diese drei Kategorien. Die interessieren sich einen Scheißdreck für Musik. Sie wissen nicht, ob etwas neu, alt, gut oder schlecht ist. Alles, was die interessiert, ist Geld oder ihr Job. Sie sind einfach nur eine sehr alte Erscheinungsform. Und sie stehen im Weg, denn die Künstler legen keinen Wert auf die Meinung von Leuten, die von nichts eine Ahnung haben. Doch die Musiker haben mehr Angst davor, ihren Plattenvertrag zu verlieren, weil sie keinen Hit haben. Sie werden von den Firmenleuten unter Druck gesetzt, und deshalb sind sie gefangen. Aber sobald sie sich aus diesem Gefängnis befreien, können sie ihre eigenen Sachen machen.

Interview: OLIVER HAFKE-AHMAD
und THOMAS GLÄSER