Windeln und Verzerrer

Cristina Martinez bringt Muttersein, Musik und Management ihrer Band Boss Hog unter einen Hut. Allerdings fragt niemand ihren Partner Jon Spencer: Wie rockt es sich denn nach der Babypause?

von THOMAS WINKLER

Gelinde gesagt: Mutterschaft war bislang kein Thema im Rock'n'Roll. Ende der 80er-Jahre, als die Velvet-Underground-Musikerin Mo Tucker nach zwanzig Hausfrauenjahren und fünf Kindern auf die Bühne zurückkehrte, da wollte niemand von ihr wissen, ob Windelnwickeln die Einstellung zu Rückkopplungen verändert. Doch nun ist alles anders: Cristina Martinez hat einen dreijährigen Sohn, und die Musikjournaille diskutiert, was so ein Kind mit der Künstlerin macht. Und ob „Whiteout“, ihre erste Platte seit fünf Jahren, das wohl dokumentiert.

Eines hat sich auf jeden Fall geändert: Boss Hog, Cristina Martinez’ Band, klingen so eingängig wie niemals zuvor. Und sie werden auch zum ersten Mal als ihre Band wahrgenommen. Ehemann Jon Spencer, der seinen Ruhm in der Babypause mit seiner Blues Explosion in halbwegs zählbare Erlöse umsetzen konnte, gilt nun nur noch als zuarbeitender Gitarrist. Die Marionette und das Noise-Genie, die Schöne und das Biest – diese Zeiten scheinen vorbei. Allerdings fragt noch niemand bei Jon Spencer an, wie die Vaterschaft seine Musik verändert hat. Von Martinez kann man dagegen erfahren, dass ihr Sohn die letzte Madonna-Platte liebt und dass man das wahrscheinlich auch auf „Whiteout“ hören kann – zumindest in der erstmaligen Verwendung von Drum-Loops und einer prinzipiell ruhigeren Rhythmik, am Verzicht auf die früher üblichen panischen Breaks und abbrechend wechselnden Beats.

„Whiteout“ ist ein Rock-Album, „zu dem man tanzen kann“, wie Martinez hofft, das aber trotzdem nicht den derzeit so beliebten Crossover zum Dancefloor sucht. Stattdessen bemüht es sich ehrlich und überzeugt um einen Sound, dessen Wurzeln im Trash- und Garage-Rock der 80er liegen. Das Ergebnis: wie konserviert, eingelegt in Paraffin, überzogen mit einer glitzernden, aber weitgehend durchsichtigen Hülle. „Poppunk-Songs“ nennt sie Martinez. Erstmals hat Cristina Martinez nicht selbst produziert, sondern mit Andy Gill (Red Hot Chili Peppers) oder Tore Johanssen (Cardigans) Erfahrung – und in gewisser Weise natürlich auch Absicherung – engagiert. Aber, sagt Martinez: Boss Hog hätte schon früher so gut geklungen wie heute, hätte sie sich früher „die eigenen Beschränkungen eingestanden“ und erkannt, dass sie vom Produzieren eigentlich keine Ahnung hat. Jetzt plant sie sogar, die alten Songs von fähigen Händen remixen zu lassen, „dann wird man sehen, dass das alles gute Platten waren“.

So gesehen, ist „Whiteout“ auch ein die Vergangenheit neu definierendes Alterswerk. Zwar hat auch „Whiteout“ die von früher gewohnte Verpackung mit einer nur spärlich bekleideten Cristina Martinez, aber: „Die Prioritäten ändern sich. Früher habe wir Musik gemacht, die allein vom Drang, etwas zu erschaffen, vorangetrieben wurde – was eine sehr selbstverliebte Herangehensweise ist. Jetzt soll man sich die Musik auch anhören wollen. Außerdem: Seit ich mein Kind bekommen habe, mache ich mir Gedanken darüber, was ich mit meinem Leben anfangen will, was ich mitzuteilen habe, für was man sich an mich erinnern soll.“

Die Wut, die Ungeduld, das Jetzt als alles beherrschende Daseinsform, all das funktioniert nicht mehr – oder zumindest grundsätzlich anders –, wenn man zum Elternteil geworden ist. Das fängt damit an, dass erst der Erfolg von Gatte Spencers Blues Explosion es finanziell ermöglicht hat, ein Kind zu bekommen. Das hört noch lange nicht auf mit der Erkenntnis, dass die Musik nicht mehr das Wichtigste im Leben ist: „Ein Kind großzuziehen ist eine unglaublich lohnende Aufgabe. Es kann aber auch sehr frustrierend sein, wenn man am Ende des Tages nicht recht weiß, was man eigentlich gemacht hat. Es ist lange nicht so greifbar, wie eine Platte zu machen.“

Nach der Babypause hat sie beschlossen, Boss Hog wieder selbst zu managen, wie in den Anfangsjahren. Sie selbst koordiniert die Erscheinungstermine, Tourneen, Promo-Termine, Videodrehs und nicht zuletzt die Kontakte zu Labels in verschiedenen Ländern. Während sie erzählt, dass „Whiteout“ in Japan bereits seit Monaten zu kaufen ist, krabbelt der Sohnemann über den Parkettboden der Küche ihres europäischen Label-Chefs. Scheinbar mühelos bringt Martinez Muttersein, Musik und sogar Management unter einen Hut. Mehr als 30 Jahre, nachdem Mo Tucker bei Velvet Underground die Frau als Rockmusikerin etablierte, komplettiert Martinez erfolgreich das Modell zum Dreieck Musikerin/Managerin/Mutter.

Das Beste an der ganzen Sache allerdings: „Whiteout“ funktioniert auch einfach so. Nicht nur als Modell, auch als Musik, retrospektiv und zugleich in die Zukunft gerichtet. Kurz: Boss Hog rocken. Und das im Jahr 2000. Unglaublich, aber wahr.

Boss Hog: „Whiteout“ (City Slang/Virgin) Tour: 20. 4. Hamburg, 21. 4. Berlin, 23. 4. Düsseldorf/WDR-Rocknacht, 27. 4. München