It’s all Rover now, Baby blue

Rover gehört wieder zum Empire, freuen aber wollen sich die Briten nicht darüber. Sie befürchten einen massiven Arbeitsplatzabbau
aus Dublin
RALF SOTSCHECK

Die Briten, deren Kraftfahrzeugfirmen in den vergangenen Jahrzehnten eine nach der anderen in ausländischen Besitz übergegangen sind, haben wieder eine Automarke: Rover. Das Münchner Unternehmen BMW, das Rover 1994 für 800 Millionen Pfund von British Aerospace gekauft hatte, will seine britische Tochter an die Wagniskapitalfirma Alchemy Partners verkaufen.

BMW hat offenbar die Geduld mit seinem „englischen Patienten“ – wie Rover in Anspielung auf den im Gegensatz zu den Autobauern erfolgreichen Film genannt wird – verloren. Trotz Neuinvestitionen von 2,5 Milliarden Pfund rutschte Rover immer tiefer in die roten Zahlen, täglich um etwa zwei Millionen Pfund. Während der Münchner Mutterkonzern 1999 ein Rekordjahr mit mehr als 750.000 verkauften Autos – 7,4 Prozent mehr als im Vorjahr – feierte, sank der Absatz bei Rover, MG und Mini um knapp ein Viertel auf 250.000 Wagen.

Lediglich bei der Marke Land Rover gab es eine Steigerung um 16 Prozent, und diese Marke will BMW behalten. Ebenso wie den neuen Mini, der Ende des Jahres in Serienproduktion gehen soll.

BMW hat bisher 400 Millionen Pfund in ein separates Werk in Longbridge für den Mini-Bau investiert. Wahrscheinlich wird BMW die Produktion nun jedoch nach Oxford verlegen, wo in zwei Jahren wohl auch der neue Rolls-Royce gebaut werden soll. Die Herstellung des Rover 75, die bisher in Oxford erfolgte, soll nach Longbridge umziehen, sobald ein ausreichender Vorrat angelegt ist, damit es während des Umzugs keine Lieferengpässe gibt.

Was aber will eine Wagniskapitalfirma wie Alchemy mit einem Autowerk? Alchemy, das bisher hauptsächlich Erfahrungen bei der Sanierung von Restaurants und Kneipen gesammelt hat, will 200.000 bis 250.000 Autos im Jahr bauen. Die Startkosten sind gering, weil BMW das Werk zum Nulltarif abgibt und sämtliche Schulden streichen will. Alchemy will sich hauptsächlich um die nordeuropäischen Märkte bemühen, wo Rover in der Vergangenheit recht erfolgreich war. „Alchemy könnte innerhalb kürzester Zeit Profit machen“, sagte ein Vorstandsmitglied von BMW.

Langfristig ist die Sache jedoch problematischer. Viel hängt für Alchemy vom Rover-Image ab. Die negativen Schlagzeilen der vergangenen Jahre haben viele potenzielle Käufer verschreckt. Hinzu kommt, dass Rover vorige Woche 22.000 Autos der Reihe 75 zurückrufen musste, um technische Mängel zu beheben.

Und wie will Alchemy die Entwicklung der nächsten Autogeneration bezahlen? BMW wollte 1,7 Milliarden Pfund in den Rover 30 investieren, der die Modelle 25 und 45 ersetzen sollte. Eine solche Summe sprengt Alchemys Finanzrahmen bei weitem.

Garel Rhys, Professor für Motorindustrie an der Wirtschaftsschule Cardiff, sagt: „Falls BMW das Longbridge-Werk kostenlos abgibt, kann Rover für eine Weile weitermachen. Wenn BMW ihnen obendrein die Rechte am Rover 30 gibt, wäre es denkbar, dass Alchemy den Wagen bei einem anderen Unternehmen entwickeln könnte. Aber es bliebe das große Problem der Modernisierung der Fabrikation.“ Wahrscheinlich wird Alchemy nur Zwischeneigentümer sein und Rover weiterverkaufen, sobald das Unternehmen schwarze Zahlen schreibt.

Alchemy hat einen gewissen Anlass zum Optimismus: Der Abwärtstrend auf dem europäischen Markt konnte gestoppt werden, im Januar und Februar diesen Jahres verzeichnete Rover zum ersten Mal seit der BMW-Übernahme einen Zuwachs von 7,1 Prozent. Doch andere Probleme, wie die starke britische Währung und die hohen Autopreise in Britannien, die bei allen Marken für sinkenden Absatz sorgen, bleiben bestehen. Außerdem muss Alchemy einen neuen Antrag auf Regierungshilfe stellen. Die 152 Millionen Pfund, die von der britischen Regierung für Rover bereitgestellt werden sollten, gehen nicht automatisch auf Alchemy über.

Es steht auch noch gar nicht fest, ob sie überhaupt gezahlt werden dürfen. Der britische Premierminister Tony Blair, der das Unheil bis zuletzt abwenden wollte, telefonierte vorgestern Abend mit dem BMW-Vorsitzenden Joachim Milberg und wiederholte sein Angebot, das Longbridge-Werk zu subventionieren.

Bisher ist das jedoch an der EU-Kommission gescheitert. Die Labour-Regierung wollte Großbritannien in Kleinstgebiete für die Vergabe von Regionalsubventionen unterteilen, doch die Tories monierten, dass dadurch die traditionellen Labour-Hochburgen gezielt gefördert würden.

Die EU-Kommission schloss sich dieser Meinung an. Mario Monti, der Kommissar für Wettbewerb, untersagte der Londoner Regierung, Subventionen auszuzahlen, bevor die EU die neue Labour-Landkarte abgesegnet hat. Damit liegen die 152 Millionen Pfund für Longbridge auf Eis.

Die Tories haben Labours Taktik scharf kritisiert. John Redwood, der ehemalige Handelsminister der Tories, sagte: „Die Regierung hat die Zukunft des Longbridge-Werks gefährdet, indem sie versucht hat, die Landkarte für Regionalhilfen in ihrem Sinn zu gestalten. Labour hat behauptet, dass Rovers Probleme rein gar nichts mit der Wirtschaftspolitik und dem starken Pfund zu tun haben, und nun stellt sich heraus, dass sie sehr wohl damit zusammenhängen. Die Regierung hat Rover und BMW an der Nase herumgeführt.“ 1994, als Rover an BMW ging, stand das Pfund bei 2,40 Mark, inzwischen ist es bei 3,15 Mark angelangt.

Die Tories kündigten gestern an, dass sie den Rücktritt des Handelsministers Stephen Byers fordern werden, falls das Rover- Werk in Longbridge bei Birmingham dichtgemacht werden müsse. Byers bezeichnete Redwoods Behauptungen als „Blödsinn“. Die Unterteilung in Kleinstregionen diene dazu, dass zum Beispiel auch benachteiligte Londoner Viertel in den Genuss der Regionalhilfe kommen, die ihnen sonst versagt bliebe, weil sie von wohlhabenderen Bezirken umgeben seien.

In Longbridge, dem größten britischen Autowerk, sind 9.000 Menschen beschäftigt, hinzu kommen 40.000 Jobs in der Zulieferindustrie. BMW hatte im vorigen Jahr 8.000 Stellen bei Rover gestrichen – mehr als ein Fünftel. Damals bestritt BMW, dass man sich langfristig überlege, Rover wieder abzustoßen. Falls das Longbridge-Werk geschlossen würde, stiege die Arbeitslosenzahl in Birmingham um fünf auf 15 Prozent, das Bruttosozialprodukt der Region würde um fünf Prozent sinken. Auf den Geldwert umgerechnet wären das 575 Millionen Pfund im Jahr.

Noch vor zehn Jahren wäre das eine Katastrophe für die Region gewesen, doch inzwischen hat sich der Schwerpunkt von der Industrie hin zu Dienstleistungen und Tourismus verlagert. In diesem Jahr werden diese Bereiche fast ein Viertel des Bruttosozialprodukts erwirtschaften, beinahe genauso viel wie die verarbeitende Industrie. Nach London und Edinburgh verzeichnet Birmingham die meisten Städtetouristen in Großbritannien. Das liegt nicht an der Schönheit der Stadt, sondern an den Geschäftsreisenden, die zum Nationalen Ausstellungszentrum und zum Internationalen Konferenzzentrum kommen. Stadtrat Gerard Coyne sieht das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft.

Für die Arbeiter bei Rover, die von dem Alchemy-Deal aus der Zeitung erfahren haben, ist das nur ein schwacher Trost. Am Mittwoch flog eine Gewerkschaftsdelegation nach München, um den BMW-Vorstand davon zu überzeugen, dass die Arbeiter bei Longbridge ihr Bestes geben, um das Werk profitabel zu machen. Die Entscheidung, Rover abzustoßen, war aber offenbar schon während der britischen Automesse im Januar gefallen, obwohl auch die britische Regierung bis vorgestern Abend nicht in die Pläne des Münchner Unternehmens eingeweiht war.

Aufgrund der Verluste bei Rover ist BMW für eine Übernahme anfällig geworden. 1999 konnte der Münchner Konzern seine Bilanz von 1,2 Millionen verkauften Autos gegenüber dem Vorjahr gerade mal halten. Ob BMW nach dem Rover-Verkauf gegen eine Übernahme gefeit ist, erscheint fraglich. Wirtschaftsanalysten halten es für eine Frage der Zeit, bis die Quandt-Familie, Hauptaktionär bei BMW, dem Druck nachgibt. Die europäischen Autohersteller leiden allesamt unter Überkapazitäten und Preiskämpfen. Anfang der Woche schlossen General Motors und Fiat eine strategische Allianz, und es gehen Gerüchte um, dass US- amerikanische Autokonzerne bei den Quandts vorgesprochen haben.

Hinweis:

Arbeitsplätze in Gefahr

Im Rover-Werk Longbridge geht die Sorge um den Job um. Der neue Besitzer, die Wagniskapitalgesellschaft Alchemy, will Rover anscheinend so lange gesundschrumpfen, bis er Rover gewinnbringend wieder verkaufen kann