Ein Schtetl deportiert sich selbst

■ Im Kino: „Zug des Lebens“ ist der bessere „Das Leben ist schön“

Wenn es denn überhaupt eine zentrale Metapher für den Holocaust geben kann, ist es wohl der Güterzug, der die Juden in die Vernichtungslager brachte. Dies ist das Bild, das einem etwa von Claude Lanzmanns Dokumentationsfilm „Shoah“ als das einprägsamste im Gedächtnis bleibt. Und wenn nun der rumänisch-französische Regisseur Radu Mihaileanu ausgerechnet dieses Sinnbild radikal umdeutet, ja dies sogar gleich mit dem Filmtitel laut ankündigt, ist das schon ein wahnwitziges Gambit. Aber ein Film muss ja auch schon vom Eröffnungszug an alle Erwartungen und Tabus aufheben, wenn er von der Fluchtfantasie einiger von der Shoah bedrohter Juden in einem kleinen südosteuropäischen Schtetl erzählen will.

Dort bringt der Dorfnarr die Nachricht, dass die deutschen Soldaten immer näher kommen und die Juden der Nachbardörfer schon deportiert sind. Ausgerechnet dieser Narr kommt auf die rettende Idee. Man plant selber, einen fingierten Deportationszug auf die Reise zu schicken. Er soll nach Palästina fahren. Von dieser abenteuerlichen Flucht erzählt der Film. Zuerst muss dafür ein maroder Güterzug repariert werden, die Schneider und Frauen nähen Naziuniformen, einige Männer schneiden sich Bärte und Schläfenlocken ab und werden als deutsche Soldaten gedrillt. Besonders die Sprache macht ihnen dabei Schwierigkeiten, und eine der komischsten Szenen handelt von den linguistischen Unterschieden. Deutsch klinge hart, präzise und traurig, sagt der Spachlehrer. Jiddisch sei ihr sehr ähnlich, es habe nur Humor und sei im Grunde eine Parodie des Deutschen. „Wissen denn das die Deutschen?“ fragt einer der Schüler darauf gar nicht dumm, „vielleicht verfolgen sie uns ja deshalb?“

Jawohl, es gibt Lacher in diesem Film über den Holocaust. Noch mehr und noch radikalere als etwa in Roberto Benignis „Das Leben ist schön“, mit dem er oft verglichen wird. Aber Benignis Film verliert sogar im direkten Vergleich, ist sentimentaler und konventioneller. Viel eher lässt sich „Zug des Lebens“ mit Lubitschs „Sein oder Nichtsein“ vergleichen, denn wie dort entspringt jede Figur einem Klischee: „Im traditionellen jüdischen Theater gibt es den Rabbi, den Reichen, den Heiratsvermittler, die Mutter, die Schöne“, so der Regisseur über seine Verankerung im jüdischen Volkstheater. Für seinen befehlsgehorsamen Nazioffizier scheint Lubitschs SS-Gruppenführer Ehrhardt direkt Pate gestanden zu haben. Vorbilder für ein paar närrische Kommunisten sind dagegen Mihaileans Eltern gewesen, die in ähnlichen Verhältnissen aufwuchsen und überlebten. Der Mann weiß offensichtlich, wovon er da fabuliert, und deshalb wirkt jede Szene dieser märchenhaften Utopie so wahrhaftig. Der Zug entgeht allen Gefahren mit traumhafter Sicherheit, und am Ende trifft er sogar einen weiteren Zug mit falschen Nazis und Gefangenen – die Zigeuner der Gegend sind auf die gleiche Idee gekommen.

Der Film wirkt in seinen Bildern oft naiv, alles ist überdeutlich, und Mihailleanu hält sich nicht lang mit Psychologie auf. Aber gerade seine schönsten Szenen sind genau kalkulierte Gegenentwürfe zu den Schreckensbildern des Holocaust. So sehen wir in einer ländlichen Idylle die Frauen des Schtetls nackt zusammen baden und denken dabei unwillkürlich und erschrocken an die Bilder von den in die Gaskammern getriebenen Frauen. Mihaileanu ist nie so unbekümmert, wie er es uns glauben machen will. Er weiß, dass ein Film über den Holocaust natürlich kein Happy-End haben kann. Mit einer sehr klugen Schlussvolte lässt er das Märchen zwar glücklich enden, macht es aber gleichzeitig als hilflos tröstliche Fluchtfantasie kenntlich. hip

Cinema, täglich 21 Uhr