Nach dem Debakel ist vor dem Neuanfang

Die Wahlniederlage hat die tiefe Krise der spanischen Sozialisten offenbart. Jetzt muss sich die Partei neu orientieren

MADRID taz ■ Nach dem haushohen Sieg des Konservativen José María Aznar müssen Spaniens Sozialisten den Tatsachen ins Auge sehen: Sie stecken tiefer in der Krise, als viele wahrhaben wollten. PSOE-Generalsekretär und Spitzenkandidat Joaquín Almunia trat in der Wahlnacht zurück und übernahm die Verantwortung für den Verlust von knapp zwei Millionen Wählern und 15 Prozent der Abgeordneten. Das Präsidium sowie die Generalsekretäre verschiedener Regionen, Provinzen und Städten taten es ihm gleich. Führung und Basis debattieren jetzt nur eines: allmähliche Erneuerung oder genereller Bruch und Neugründung der Partei.

„Die Epoche von Felipe González und derer, die er an der Parteispitze unterstützte, ist vorbei“, erklärte José Borrell nach dem Wahldebakel. Borrell, der einst von der Basis zum Kandidaten gewählt und von Almunia zum Rücktritt bewogen wurde, gehört zu den Vertretern eines radikalen Neuanfangs. Er verlangt, dass alle engen Vertrauten von González, des Ex-Regierungspräsidenten und Vorgängers Almunias an der Parteispitze, keine verantwortungsvollen Posten mehr übernehmen. Im Krisenstab, der die PSOE bis zum Erneuerungsparteitag im Juli führen soll, müssten neue Leute sitzen. Auch brauche die Partei neue Strukturen. Die Kandidaten der PSOE müssten auf allen Ebenen von der Basis gewählt werden.

González und seine „Felipisten“ sehen dies anders. Der ehemalige Parteichef rief zur Ruhe auf. Die alte Parteispitze dürfe nicht an den Rand gedrängt werden. Schließlich verkörpere sie die gesamte Erfahrung, lautet das Argument, mit dem die Felipisten eine für ihre Hausmacht gefährliche, grundsätzliche Erneuerung verhindern wollen.

Auch eine Krisenmannschaft haben die Felipisten schon. Der andalusische Ministerpräsident Manuel Chaves soll den Übergangsvorstand leiten, in dem alle regionalen Parteifürsten vertreten sein sollen. Als neuer Generalsekretär und künftiger Kandidat ist José Bono im Gespräch. Der enge Vertraute von González steht seit dem Übergang zur Demokratie der Regionalregierung von Castilla-La Mancha vor.

„Bono ist zu stark mit der scheidenden Parteiführung verbunden“, beschwert sich Alfonso Guerra, ehemaliger Stellvertreter von González. Die Partei habe in den letzten vier Jahren eine Erneuerung verpasst, indem sie die alten Minister als Oppositionssprecher in ihren jeweiligen Gebieten beibehielt. Man dürfe den gleichen Irrtum nicht wiederholen. Im Vorfeld der Sitzung des erweiterten Parteivorstands, der am kommenden Mittwoch den Krisenstab ernennen soll, schmieden der einstige Vizepräsident der Regierung González und seine „Guerristen“ ein Bündnis aller, die Almunia bei den letzten Wahlen bei der Listenaufstellung an den Rand drängte: neben den Anhängern Borrells auch die Sozialistische Jugend. „Wir brauchen ein Projekt, eine Struktur und eine Führung, und zwar genau in dieser Reihenfolge“, erklärt Guerra.

Doch mit einem Projekt können auch die Guerristen nicht dienen. Er und seine Anhänger gehören zur klassischen Linken mit klassenkämpferischen Tönen. Und genau dieses Rechts-links-Schema, das bisher in Spanien so gut funktionierte, konnte jetzt viele Wähler nicht mehr begeistern. Analysen zeigen: Eine Million Stimmen gingen von der PSOE zu Aznars PP. Selbst von der kommunistische beeinflussten Vereinigten Linken (IU) waren es knapp 100.000. 1,5 Millionen Wähler beider linker Formationen blieben zu Hause.

Die größte spanische Tageszeitung El País, im Wahlkampf Sprachrohr der PSOE, meinte nach dem Sieg Aznars: „Die Menschen sind wesentlich freier als so mancher Generalsekretär glaubt. Und die Geschichte ist zwar nicht vergessen, aber wenn es darum geht, für die Zukunft Entscheidungen zu treffen, ruht sie. Die Angst bestimmt nicht mehr den Willen.“ REINER WANDLER